Eifel-Ralley
weglaufen. Wo würde er dann sein?«
»In der Scheune.«
»Da ist er aber nicht.«
»Dann weiß ich es auch nicht. Vielleicht sollten wir die Jungs von der Feuerwehr anrufen, daß die ihn suchen? Ist ja nicht mehr sicher hier. Erst haben sie eine Frau umgebracht. Und dann einen Mann, der im Wald gezeltet hat. Ist eine elende Zeit, ist das. Ich geh mal mit.«
Der Nachbar stieg zu mir ins Auto, und wir fuhren zu Rodenstock zurück, der vor dem Wohnhaus stand.
Der alte Mann kletterte aus dem Wagen und rief: »Pitter, kumm ens.«
Nichts rührte sich. Der Alte öffnete die Scheunentür und wiederholte seine Worte. Dann winkte er uns.
Die Scheune war recht groß. Drinnen stand ein alter, blaulackierter Lanz, ein richtig antikes Stück. Daneben eine Egge, ein Heuwender, ein alter Pflug, eine Sämaschine – alles im besten Rost.
Der Alte sagte etwas zu laut: »Der Peter ist nicht da.« Dabei deutete er auf einen Haufen alter, viereckiger, kleiner Heuballen, der sicherlich vier Meter hoch bis zur Decke getürmt war.
»Da kann man nichts machen«, sagte der Alte und bedeutete uns, mit ihm hinauszugehen. Er schloß die Tür hinter sich.
»Es ist so«, erzählte er leise. »Das Heu ist seit Jahren da drin. Peter hat sowas wie einen Fuchsbau draus gebaut. Und ich wette, er steckt da drin. Aber wir kriegen ihn nicht da raus. Das kenne ich.«
»Woher kennen Sie das?« fragte Rodenstock.
»Von der Kirmes vor drei Jahren«, sagte der Mann. »Da hat ihn ein Betrunkener geschlagen, einer aus Virneburg. Peter hat sich im Heu verkrochen, und wir haben ihn nicht gefunden. Es hat Tage gedauert, bis er wieder rauskam. Viele Tage. Ich wette, er steckt da drin. Er hat da auch immer was zu essen. Und Kerzen hat er auch ...«
»Im Heu?« fragte ich entsetzt.
Er grinste matt. »Keine Bange, Peter kann damit umgehen.« Er seufzte. »Man müßte wissen, was passiert ist.«
»Es ist keine Schwierigkeit, von hinten an die Scheune und das Wohnhaus heranzukommen?« fragte Rodenstock.
»Keine«, nickte der Alte. »Du kannst irgendwo oben am Berg parken und dann durch die Bäume runterkommen.«
»Haut mal ab, ihr Zwei«, sagte ich. »Ich sehe eine schwache Möglichkeit.«
Ich lief zum Wohnhaus und suchte in der Küche nach der alten Bibel. Ich fand sie nicht, aber ich war zu nervös, sorgsam zu suchen. Ich entdeckte ein altes DIN-A5-Heft, Zeitungsdruck. Von den Kraftfeldern des Lebens stand darauf. Ich nahm es, ging in die Scheune und schloß die Tür hinter mir. Die Sämaschine hatte einen alten verrosteten Sitz. Ich kletterte hinauf und stemmte mich an zwei Metalltritten ab.
Das Licht reichte noch. Auf der ersten Seite befand sich ein kurzer Text aus Malte von Rainer Maria Rilke.
Ich las, ich wollte lesen. Doch erst sagte ich ganz langsam: »Alice nackt.« Dann las ich: »Manchmal gehe ich an kleinen Läden vorbei, in der Rue de Seine etwa. Händler mit Altsachen oder kleine Buchantiquare oder Kupferstichverkäufer mit überfüllten Schaufenstern. Nie tritt jemand bei ihnen ein, sie machen offenbar keine Geschäfte. Sieht man aber hinein, so sitzen sie, sitzen und lesen, unbesorgt; sie sorgen sich nicht um morgen, ängstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hund, der vor ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille noch größer macht, indem sie die Bücherreihen entlangstreicht, als wische sie die Namen von den Rücken. Ach, wenn das genügte: Ich wünschte manchmal, mir so ein volles Schaufenster zu kaufen und mich mit einem Hund dahinterzusetzen für zwanzig Jahre.«
War da etwas? Atmete Peter da? Raschelte da was?
Mach nicht so lange Pause, Baumeister, denn er hat furchtbare Angst. Ich fuhr mit einem Wort von Phil Bosmans fort: »Um ein bißchen glücklich zu sein, ein bißchen Himmel auf Erden zu haben, mußt du dich mit dem Leben versöhnen, mit deinem eigenen Leben, wie es nun einmal ist. Du mußt Frieden machen mit deiner Arbeit, mit den Grenzen deiner Brieftasche, mit deinem Gesicht, das du dir nicht ausgesucht hast. Du mußt Frieden machen mit den Menschen um dich herum ...«
Er war da vor mir, er war todsicher da. Ich hörte Atem, aber ich sah nichts. Auch das Rascheln war nicht mehr zu hören. Ich las weiter.
»... mit den Menschen um dich herum, mit ihren Fehlern und Schwächen. Mit deinem Mann, mit deiner Frau, auch wenn du jetzt vielleicht weißt, daß du nicht den idealen Mann, nicht die ideale Frau getroffen hast. Glaube nicht, daß es so etwas gibt ...« Weil ich Furcht hatte, ich könne
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