Eifel-Sturm
und wurden von einem uniformierten Polizisten aufgehalten, der uns aber weitergehen ließ, als er Rodenstock erkannte.
»Sieh einer an!«, sagte Emma hell.
Zwischen der evangelischen Kirche und dem nächsten Gebäude war eine ganz schmale, uralte kleine Gasse. Dort befand sich ein dreieckiges Gebäude, an dessen einer Seite der Laufenbach in die Rur mündete. Dann kam der Bach, dann das Rote Haus. Offensichtlich war unser Ziel das dreieckige Gebäude, dessen Spitze wie ein Messer auf den Lauf der Rur deutete. Das Gelände drum herum war abgesperrt und die wenigen Passanten wurden gebeten, einen anderen Weg zu benutzen, der oberhalb am Hang verlief.
Kischkewitz bemerkte uns und sagte: »Hier drin hat er sich aufgehalten. Eindeutig. Doch ich muss sagen, ich bin eher verwirrt als erleichtert.«
»Können wir rein?«, fragte Rodenstock.
»Geht noch nicht. Die Spurenleute sind drin. Keine Hetze jetzt. Ich gebe euch gleich einen Überblick.« Dann war er schon wieder fort.
Ein paar Frauen und Männer aus meiner Branche fotografierten wie verrückt und versuchten jeden uniformierten und nicht uniformierten Beamten zu befragen, was folgenlos blieb, weil die Männer nichts wussten.
»Driesch kam also aus diesem Haus, rannte weg, kehrte zurück«, sagte Emma ganz versunken. »Und wer blieb in dem Haus zurück?«
»Es wird Spuren geben«, meinte Rodenstock. »Bald werden wir es wissen.«
»Oder auch nicht«, sagte Emma. Es klang beinahe wütend.
Das Haus war dreistöckig und das Erdgeschoss erschien von außen so, als wohne niemand darin. Aber oben an den Fenstern hingen Gardinen. Ich schlenderte zu der offen stehenden Haustür. Es gab eine Klingel, aber keine Namensschilder. Das Gebäude wirkte baufällig und die Grundfläche sehr klein. Möglicherweise befanden sich auf jeder Ebene zwei Räume, vielleicht zusätzlich eine Küchenecke, eine Toilette. Viel mehr konnte nicht hineinpassen. Der Gedanke, dass es einen Zusammenhang zwischen Jakob Driesch und diesem Haus gab, schien grotesk. Eher konnte man sich vorstellen, dass hier Jugendliche, die sich ein paar Joints beim örtlichen Dealer besorgt hatten, in einem der Räume bei Kerzenlicht hockten und sich ihren Träumen überließen. Aber Driesch? Driesch passte nicht hierher!
»Ob er ein geheimes Leben hatte?«, murmelte Emma.
»Glaube ich nicht«, antwortete Rodenstock sofort. »Er hatte doch gar keine Zeit dafür. Wann soll er ein geheimes Leben gelebt haben?«
Kischkewitz rannte unruhig herum, sprach mit seinen Leuten, redete kurz und abgehackt, verschwand im Haus, tauchte nach Sekunden wieder auf, kam zu uns und bestätigte meinen Eindruck: »Da drin würde nicht mal ein Penner freiwillig den Winter verbringen.« Er rief einem Spurenmann zu: »Wir müssen die verdammten Wasserbetten sichern«, verschwand erneut kurz im Haus, stand dann wieder vor uns und murmelte: »Da sind sogar Pilze an den Wänden; richtig dicker, schwarzer Schimmelpilz.«
Rodenstock sagte: »Beruhige dich, es wird weitergehen und du wirst den Mörder fassen.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, schnauzte Kischkewitz. Dann grinste er über sich selbst und murmelte: »Zieh mir einen Täter aus dem Hut, oder noch besser: Behaupte doch einfach, dass du es warst.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Emma lachend. »Ich brauche den Mann noch.« Dann setzte sie unvermittelt hinzu: »Haben die Räume Gardinen?«
»Nein«, sagte Vera, die dazugekommen war. »Keine Gardinen, aber dafür Vorhänge. Teure Vorhänge. Aber ansonsten habe ich mir die Zweitwohnung eines Bundestagsabgeordneten anders vorgestellt.« Sie starrte mich an und seufzte: »Es ist so deprimierend.«
»Das ist es wirklich«, nickte Emma. »Das erinnert mich an meine Tante Ruth, die ihre Bleibe nach dem Zweiten Weltkrieg genauso beschrieben hat. Was ist, mein Lieber, marschieren wir ins Hotel und gehen schlafen?«
»Das tun wir«, nickte Rodenstock. »Du solltest nach Hause fahren, Baumeister, ich rufe dich an, wenn irgendetwas Neues passiert, was wirklich wichtig ist.«
»Ich bleibe noch eine Weile«, sagte ich. »Ich will noch mal versuchen, Jakob Driesch zu verstehen.«
»Viel Glück«, sagte Emma und nahm ihren Rodenstock an die Hand. Sie gingen langsam die Straße entlang, berührten einander, sprachen leise, neigten ihre Köpfe zueinander. Ich dachte: Sie sind glücklich. Und ich war froh, das erleben zu dürfen.
Ich schlenderte auf die evangelische Brücke und starrte auf das Haus, dessen Spitze auf das Wasser
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