Eifel-Träume
Elternschlafzimmer.«
Es war plötzlich sehr still.
»Das mit dem Fernglas wussten wir«, erklärte Gerd mit gesenktem Kopf. »Annegret hat das erzählt. Und einmal ist Kevin extra splitterfasernackt vor dem Busch rumgehüpft, während Annegrets Mutter mit dem Fernglas hinterm Fenster stand. Die war immer ganz komisch. Jedenfalls nicht so wie andere Mütter.«
»Wenn du sagst, das wussten wir – wer ist dann mit ›wir‹ gemeint?«
»Na ja, Annegret, Kevin, Bernard und Anke. Unsere Clique eben.«
»Ich habe mit einem netten alten Mann gesprochen, dem Pitter Göden. Der geht viel spazieren und hat euch oft im Busch gesehen. Der sagt: Die Kinder haben im Sommer da gelebt.«
»Das ist korrekt«, sagte Gerd. »Wir hatten Musik und was zu trinken und was zu essen dabei und manchmal ein Zelt. Es war mein Zelt. Wenn es warm und trocken war, dann haben wir es über Nacht einfach stehen lassen.«
»Obwohl später die Älteren kamen?«
»Warum nicht, die tun doch nichts. Manchmal haben sie unsere Cola ausgetrunken. Aber meistens haben die Bier dabei. Jedenfalls haben sie nichts kaputtgemacht.«
»Ich möchte noch einmal auf Annegret zurückkommen. Dass sie hübsch war, habe ich auf den Fotos gesehen. Und ihr Vater hat mir erzählt, dass sie gern lachte, ein fröhliches Mädchen war.«
Gerds Mutter rutschte auf ihrem Stuhl vor und sagte energisch: »Es wird erzählt, dass Sie Rainer Darscheid davon abgehalten haben, sich umzubringen.«
»Das ist mal wieder nur ein Teil der Wahrheit«, erklärte ich. »Er war verschwunden und es wurde befürchtet, dass er sich etwas antun könnte. Ich habe ihn dann an einem Waldrand aufgetrieben und nach Hause gebracht. Aber ich glaube nicht, dass er sich töten wollte. Ich mag ihn, er wirkt sehr ehrlich.« Ich wandte mich wieder Gerd zu. »Mir ist klar, dass Kinder ihr eigenes Leben leben. Sehr viel von dem, was sie unternehmen, was sie träumen, was sie beschäftigt, sagen sie ihren Eltern nicht. Antwortest du mir auf die Frage, welches Thema gegenüber Eltern ein besonderes Tabu ist?«
»Ganz klar: was so läuft zwischen Jungen und Mädchen. Und natürlich auch, wo man sich trifft und was man für Musik mag und was man an scharfen Videos guckt.«
»Was meinst du mit ›scharfen Videos‹?«
»Na, so Softpornos. Manchmal auch härtere Streifen. Aber ich mag die nicht, das ist Mistzeug.«
»Was war mit Annegret? Guckte die auch Softpornos?«
»Korrekt.«
»Sie hat sich also wie alle anderen verhalten, ganz normal?«
In seinem Gesicht zuckte es wieder, dann beugte er den Kopf. »Normal war sie nicht. Sie war anders als alle anderen. Sie war schön und …«
»Darf ich hier rauchen?« Ich musste unterbrechen, er rührte mich. Er hatte geliebt und jemand hatte ihm diese Liebe einfach weggenommen.
»Dürfen Sie«, antwortete der Vater. Dann wandte er sich an seinen Sohn: »Willst du eine Pause machen? Dir was zu trinken holen?«
»Eine Cola«, murmelte Gerd, stand auf und lief hinaus.
Ich stopfte mir eine gebogene Dublin von Peterson mit einem eindrucksvollen Silberbeschlag zwischen Kopf und Mundstück.
»Sie haben einen netten Sohn«, sagte ich.
»Wir haben nette Kinder«, sagte die Mutter. »Man kann es sich ja nicht aussuchen. Gerd hat Annegrets Tod brutal getroffen. Er war hinten im Garten, als ich es ihm sagte. Er starrte mich an und fing an zu weinen und hörte nicht mehr auf. Es war furchtbar, wir wussten nicht, wie wir ihm helfen sollten.«
Gerd kehrte zurück, trug ein großes Glas in der Hand und setzte sich wieder zu uns. »Schon okay«, sagte er.
»Annegret hat dich auch sehr gemocht, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wenn ich mich an meine Jugend erinnere, als ich so alt war wie du – da war ich sehr neugierig auf Mädchen. Ich wollte alles über sie wissen, wie sie aussehen, sie anfassen, ihre Brüste fühlen und so was. Ich nehme an, das geht dir auch so.«
Gerd nickte.
»Dann hat sich wohl nichts verändert. Ihr habt Petting gemacht, wie wir früher auch. Wir haben jetzt die Situation, dass Annegret am Donnerstagmittag nach Hause kommt, die Schultasche auf den Boden schmeißt, sich den Hausschlüssel nimmt und das Haus wieder verlässt. Die Mutter merkt von all dem nichts, die ist vier Häuser weiter bei einer Freundin. Es ist klar, dass Annegret in Eile ist. Denn sie ist verabredet. Irgendwann zwischen dreizehn und vierzehn Uhr an diesem Donnerstagmittag erschlägt jemand das Mädchen. Die Frage ist also: Mit wem war sie im Busch verabredet?«
Er hockte da
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