Eifel-Träume
beginnenden Nacht. Er wandte nicht einmal den Kopf, als ich mich näherte, er war ganz in sich versunken.
»Sind Sie Rainer Darscheid?«
»Ja«, antwortete er ohne besondere Betonung. Er rauchte eine Zigarette und schien ganz unaufgeregt, einfach nachdenklich.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Aber sicher. Der Platz gehört mir nicht.«
Ich setzte mich neben ihn und stopfte mir eine Pfeife von Poul Winslow.
»Ich komme von Agnes«, erklärte ich. »Ich soll Sie grüßen. Sie will wissen, wie es Ihnen geht.«
»Es geht mir sehr schlecht«, stellte er fest. »Wer sind Sie?«
»Siggi Baumeister. Ich bin Journalist. Ganz Hildenstein sucht Sie. Und ich habe diese Spur verfolgt.«
»Gute Spur«, sagte er leise.
Er drehte ständig etwas in seinen Händen. Ich beugte mich vor, um zu erkennen, was es war.
Es war ein Kälberstrick, etwas, an dem man sich gut aufhängen konnte.
Er drückte die Zigarette neben seinem linken Oberschenkel aus. Es war mindestens die zehnte Zigarette, die er geraucht hatte. »Wie geht es Agnes denn?«, fragte er, als sei die Frage in seiner Situation vollkommen normal, und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Nicht gut, glaube ich. Der Mann trinkt und sie macht den Eindruck, als sei sie längst am Ende der Ehe.«
»Ja, ich weiß«, murmelte er. »Alles geht den Bach runter. Hat sie sich endlich entschlossen abzuhauen?«
»Das weiß ich nicht, wir kennen uns schließlich nicht. Sie machen beide einen kaputten Eindruck. Ich bin froh, Sie gefunden zu haben. Hocken Sie hier schon lange?«
»Ein paar Stunden, ich weiß nicht genau. Aber das ist auch gleichgültig.« Er drehte wieder den Strick in seinen Händen. Dann atmete er sehr schnell, als bekäme er keine Luft. Plötzlich schien er das Bedürfnis zu haben, etwas zu erklären. »Ja, ich habe gedacht, ich mach Schluss. Was soll der ganze Scheiß? Annegret kommt nicht mehr zurück.« Unvermittelt begann er zu weinen.
Er war ein schlanker, fast dünner Mann mit einem ernsthaften, schmalen Gesicht unter dichten schwarzen Haaren.
Es begann zu regnen, aber er rührte sich nicht, weinte leise, wiegte den Kopf hin und her, ließ beide Hände in altem Laub hin und her schleifen. Erneut zündete er sich eine Zigarette an, drückte sie sofort wieder aus.
Dann meinte er: »Jetzt ein Bier. Das wäre gut.«
»Wir könnten in einer Kneipe eins kaufen.«
»In diesem Zustand gehe ich in keine Kneipe.«
»Ich mach das. Oder ich fahr zu einer Tankstelle. Die Aral in Daun.«
»Warum suchen die mich eigentlich? Ich werde doch wohl noch für ein paar Stunden allein sein dürfen.«
»Sie hatten Angst, Sie tun sich was an.«
»O ja, auf einmal haben alle Angst.« Er versuchte zu lachen, aber es misslang.
Er legte sich auf den Rücken, war eine Weile schweigsam und murmelte schließlich: »Der Regen im Gesicht tut gut.«
»Ja«, nickte ich. Das Hemd klebte klatschnass an meinem Körper und ich fühlte mich so wohl wie lange nicht mehr.
»Also zur Tanke«, sagte er, stand auf, wackelte ein wenig hin und her, vergrub die Hände in den Taschen. »Die Annegret hat mich mal zum Zelten überredet. Im Garten. Nicht weil es so warm war, sondern weil es wie aus Eimern schüttete. Wir lagen in dem Iglu und hörten den Regen trommeln. Das war schön.«
»Haben Sie eine Ahnung, was mit Annegret passiert sein könnte?«
»Keine Ahnung.« Er schüttelte den Kopf. »Überhaupt keine Ahnung. Ich verstehe das nicht.« Er ließ die Schuhspitze im Gras kreisen. »Meine Frau kann nicht darüber reden. Kein Wort. Sie sagt nur dauernd: Annegret hatte es doch so gut bei uns! Als ob die Kleine freiwillig weggegangen wäre. Das ist überhaupt das Schlimmste: diese verrückte Theaterspielerei.« Er wischte sich das Regenwasser vom Gesicht. »Es ist zum Kotzen, glaub mir. Unsere Familie war intakt, unsere Familie lebte einen Familientraum. Und unser Kind war einmalig. So eine verdammte Scheiße! Sie war … sie war ein fröhlicher kleiner Mensch, sie lachte gern. Sie war vollkommen normal, sie war so normal, wie ich gern wäre … Aber ich sage dir, sie hat genau gewusst, was bei uns alles schief an der Wand hängt.« Im nächsten Moment starrte er mich an und stöhnte: »Ach, du lieber Gott, du bist ja ein Reporter.«
»Das hier bleibt unter uns«, versicherte ich. »Was hängt denn bei euch schief?«
»Was wohl? – Unsere Ehe. Unsere Ehe ist tot, verstehst du. Seit Jahren. Klar, wir streiten uns nicht, so wie Agnes und der Born. Wir gehen freundlich
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