Eifel-Träume
miteinander um, wie es sich gehört. Und die Annegret wusste das, sie wusste das ganz genau. Sie hat vor Monaten meine Frau mal gefragt, warum sie in die Rüschengardinchen immer babyblaue Schleifchen bindet. Die hat das alles schon durchschaut … Lass uns hier abhauen, ich brauche wirklich ein Bier.«
Wir trabten zu den Autos und ich fuhr voran. In Daun hielten wir bei Aral und ich kaufte zwei Literdosen Faxe-Bier. Darscheid öffnete eine Dose und nahm einen langen Schluck.
Ich wählte wieder Rodenstocks Nummer und hatte Glück.
»Wir sitzen im Haus der Eltern«, meinte er ohne Hoffnung. »Uns fällt nichts mehr ein.«
»Ich bringe ihn nach Hause«, erklärte ich. »Es ist alles in Ordnung. Sorg bitte dafür, dass keine Presse vor dem Haus steht.«
»Das erledige ich«, versprach er.
Rainer Darscheid redete nicht mehr, starrte dumpf vor sich hin und leerte den ersten Liter mit unglaublicher Geschwindigkeit. Anschließend rülpste er ausgiebig, kurbelte sein Fenster hoch und startete den Motor. Langsam, beinahe gemächlich, fuhr er vor mir her. In Dockweiler lenkte er den Wagen an den Straßenrand und stoppte.
Ich dachte: Er wird betrunken sein, er ist sowieso vollkommen erschöpft. Ich lief durch den Regen zu ihm hin und setzte mich neben ihn.
Er weinte wieder, sein Kopf lag auf dem Lenkrad. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, öffnete er die zweite Dose Bier und trank wie ein Verdurstender.
Der Regen war dicht und schwer geworden und Darscheid stieg aus dem Wagen und hielt sein Gesicht hoch zum Himmel. Ich sah seinen verquälten Mund, der den Eindruck entstehen ließ, als schreie er. Aber bis auf das Trommeln des Regens war es still.
Ein schwerer Truck rauschte heran und eine Sekunde lang war ich erneut voller Panik, weil ich dachte: Wenn er jetzt auf die Fahrbahn springt, ist es aus. Aber Darscheid rührte sich nicht, hielt einfach sein Gesicht in den Regen. Dann trank er wieder aus der Dose, öffnete den Wagenschlag und setzte sich.
»Ich habe keine Lust auf zu Hause«, murmelte er.
»Das verstehe ich. Doch tu es für deine Frau.«
Er schwieg eine Weile und nickte. Er griff in die Tasche seiner Jeansjacke und hielt wieder den Kälberstrick in den Händen.
»Den brauchst du jetzt nicht mehr«, meinte ich hilflos.
»Ich weiß nicht, was wird«, entgegnete er erstaunlich kühl. »Ich weiß nicht, ob ich ohne Annegret in dem Haus leben will. Nein, ich will ohne meine Kleine da nicht leben.«
»Das wirst du herausfinden«, sagte ich.
»Da verlierst du dein Kind, die Welt steht still und dann fragt dich irgendeine Tussi vom Fernsehen: Waren Sie der Kleinen überhaupt ein guter Vater? Ist die Welt nicht bescheuert?«
»Die Welt ist bescheuert«, bestätigte ich. »Ich frage dich noch einmal, ob du oder deine Frau irgendeinen Verdacht habt. Kein guter Onkel in der Nachbarschaft?«
»Nein. Wir haben keinen Verdacht, nicht den geringsten.«
Wir setzten unseren Weg durch den strömenden Regen fort, rollten endlich nach Hildenstein hinein und hielten vor seinem Haus.
»Wir stellen uns unter die Dusche«, schlug er eifrig vor, wahrscheinlich wollte er die Stille damit töten. »Dann können deine Klamotten trocknen.«
Die Haustür wurde geöffnet und eine Frau stand wie ein Schattenriss im Licht. Mit einer hohen, ein wenig kindlichen Stimme sagte sie: »Ich hatte solche Angst um dich.«
Es war deutlich zu spüren, dass er sie nicht berühren wollte, dass er kämpfte. Aber er nahm sie doch in die Arme und flüsterte etwas.
»Ich möchte nicht duschen«, stellte ich fest. »Ich würde lieber gleich heimfahren.«
Der Flur war hell erleuchtet und auf einer kleinen Kommode saßen drei Puppen, eng aneinander geschmiegt, in der Frauenkleidung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
»Da seid ihr ja«, rief Kischkewitz von irgendwoher.
Rodenstock trat in den Flur und lächelte mir zu.
»Ich möchte heim«, wiederholte ich. »Ich brauche neue Klamotten.«
»Du kannst von mir welche haben«, sagte Rainer Darscheid drängend.
»Junge«, widersprach ich. »Zu Hause bei mir sitzt Besuch.«
»Ach so«, er war sichtlich enttäuscht, wollte wohl nicht allein bleiben mit seiner Frau. »Aber du lässt dich mal sehen?«
»Klar«, nickte ich. »Du kannst dich darauf verlassen.«
»Wir fahren auch«, bestimmte Kischkewitz.
Ich ging wieder hinaus in den Regen und starrte den Hang hinauf, wo in dreihundert Metern Entfernung der Kriminalbiologe Benecke im Schein seiner Xenon-Scheinwerfer immer noch altes Laub
Weitere Kostenlose Bücher