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Eifel-Träume

Eifel-Träume

Titel: Eifel-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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entgegnete ich schroff. »Deshalb ist Clarissa schließlich hier.«
    »Mein Therapeut sagt, dass das wichtig für mich ist«, sagte Clarissa.
    »Was hast du und der Therapeut denn herausgefunden?«, fragte ich.
    »Dass ich nicht bindungsfähig bin.«
    »Weil dein Vater an dieser Stelle versagt hat?«
    »Ja, genau.«
    »Scheiße, ich war krank.«
    »Kinder, so geht das nicht.« Vera lächelte angespannt.
    »Wenn ihr so weitermacht, gibt es Streit.«
    »Ich fahre wieder nach Hause«, sagte Clarissa mit seltsam abgeklärter Stimme.
    »Tu das. Und erzähl deinen Leuten, dass dein Vater immer noch das alte Charakterschwein ist.«
    »Siggi!«, mahnte Vera.
    »Ich gehe wohl besser.« Clarissa stand auf und lief ins Haus.
    »So eine Scheiße!«, sagte ich wütend. »Ich bin Alkoholiker, ich werde immer einer sein. Ob ich saufe oder nicht!«
    »Aber sie hat keine Ahnung, was aus dir geworden ist. Diesen Vater kennt sie überhaupt nicht.«
    »Dann sollte sie besser das Maul halten.«
    »Ach, Baumeister.«
    Eine Weile hockten wir schweigend an dem Tisch. Dann musste ich wieder niesen und Vera lachte leise.
    »Du liebst sie doch, oder?«
    »Ja.«
    »Dann gib ihr Zeit, sich mit dir einzurichten.«
    »Lass uns von etwas anderem reden.«
    »Baumeister, ich bin hundemüde.«
    »Du kannst hier schlafen, wenn du magst.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Oh, keine Bange. Es passiert nichts. Du kannst oben neben mir schlafen. Oder allein und ich packe mich ins Wohnzimmer. Ich bin auch müde. Mein Leben ist so anstrengend.«
    »Ich fahre lieber zu Emma«, entschied sie. »Sei vorsichtig mit Clarissa, sie hat einen Vater verdient.« Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. Dann ging sie durch das Gartentor, kletterte in ihr Uraltauto und fuhr vom Hof.
    Ich dachte, es wäre verdammt gut gewesen, wenn sie bei mir geblieben wäre. Nur zum Trost, zu sonst nichts.
    Im Treppenhaus rief ich: »Schlaf gut. Wir müssen eben noch lernen, miteinander zu reden.«
    Aber Clarissa konnte nicht antworten, denn sie telefonierte wieder. Wahrscheinlich gleichzeitig mit Mami, dem Therapeuten und einigen Freunden.
    Ich legte mich aufs Bett und konnte nicht schlafen. Ich tigerte durch das Haus und irgendwann fand ich mich im Wohnzimmer wieder, wie ich starr in den Garten hinausblickte und doch nichts sah. Vieles türmte sich plötzlich auf und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Meine Seele war atemlos.
    Clarissa, die jemand geschickt hatte, um herauszufinden, wie der Vater war und wie der eigene Bauch auf ihn reagieren würde. Eine Erkundungsexpedition zum eigenen Erzeuger. Das war ein Problem, aber eines, das wir lösen konnten. So oder so.
    Vera, die aus ihrem Amt geflüchtet war, um überleben zu können. Auch das war ein Problem, aber eines, bei dem ich ihr den Rücken stärken konnte, wie immer das ausgehen mochte.
    Tante Anni, die sich scheinbar in den Kopf gesetzt hatte zu sterben. Da waren wir alle hilflos und mussten akzeptieren, wie sie entscheiden würde. Sie war ein Teil meines Lebens geworden und es war wichtig, sie nicht allein zu lassen, ihre Hand zu halten, wenn sie es zuließ.
    Dann Annegret, dieses ermordete Mädchen. Tote Kinder sind etwas Entsetzliches, eine Wunde, die die Zeit kaum zu vernarben vermag.
    Ich musste auf dem Sofa eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, hatte ich einen steifen Nacken und einen Rücken wie ein Waschbrett. Draußen zog der Tag auf, die Vögel zwitscherten, Satchmo kratzte heftig an der Türscheibe zur Terrasse. Wo war eigentlich mein Hund Cisco? Wahrscheinlich lag er bei Emma im warmen Flur und schlief.
    Es war fünf Uhr morgens. Ich horchte im Flur, ob etwas von Clarissa zu hören war. Aber es war still. Ich warf die Kaffeemaschine an und hatte plötzlich einen wilden Hunger auf Schinken von Otten in Strohn. Nein, nicht einfach nur auf Räucherschinken, sondern auf Räucherschinken mit Spiegeleiern drauf. Ich hörte sämtliche Ärzte der Welt schimpfen und ihre kleinliche Ermahnung, ich solle gefälligst an meinen Cholesterinspiegel denken. Während ich die Köstlichkeiten briet, grinste ich meinen Cholesterinspiegel an die Wand. Dann noch eine CD von Christian Willisohn aus dem Marians in Bern und ich konnte konstatieren, was mir am dringendsten fehlte. Die Antwort war einfach und fiel zusammen mit dem Basin Street Blues.
    Ich hatte keine Vorstellung, was geschehen war, bevor die kleine Annegret getötet worden war. Wann hatten die Kinder die Schule verlassen, um nach Hause zu gehen? Wer von ihnen

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