Eifel-Träume
Freund von Toni Burscheid waren. Das erzählte mir der Vater der Ermordeten. Und ich möchte mich gern mit Ihnen unterhalten, weil ich glaube, dass Burscheid eigentlich hingerichtet worden ist.«
»Toni war ganz allein. Seine Verwandtschaft hat ihn im Stich gelassen. Eine Frau hat ihn als Sau beschimpft, weil ihre Tochter auf Tonis Schoß gesessen hat.«
»Ja, das war die Mutter der Toten, sie ist ausgerastet, sie war hysterisch. Aber das ist zwei Jahre her.«
»Sie hat ihm das Haus verboten!«, sagte er grob. »Ich habe Toni gefragt, ob an der Sache was dran sei. Ob er wirklich eine Erektion gehabt hat. Und Toni antwortete ohne Zögern: Nein.«
Auf eine unbestimmte Art war ich plötzlich erleichtert.
»Das kann sein, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat er sich das Leben genommen.«
In der offenen Tür zum Flur hin stand plötzlich eine junge Frau und motzte: »Jedes Mal wenn man sich auf dich verlässt, ist man verlassen.« Ihre Kleidung war bunt, sie erinnerte an einen Cocktail.
Gustav Mauren erwiderte gefährlich ruhig: »Ich habe einen Freund verloren. Mit diesem Verlust muss ich fertig werden. Das ist mir wichtiger, als für dich oder deine Mutter Chauffeur zu spielen.«
»Dann trampe ich eben«, sagte sie aufmüpfig. »Aber das wollt ihr ja auch nicht.« Sie war vielleicht zwanzig und grell geschminkt, als wollte sie möglichst schnell ihre Gesichtshaut ruinieren.
»Dann trampe doch«, sagte er gelassen.
»Wenn Mama das erfährt, ist sie stinksauer!«
»Und die Welt geht unter«, erwiderte er scharf. »Störe uns nicht, sei eine liebe Kleine und verschwinde, wohin du willst.«
Sie warf irgendetwas lustvoll auf den Boden, es schepperte.
Gustav Mauren ging zur Tür und machte sie zu. »Nehmen Sie Platz und sagen Sie mir, was Sie wollen.«
»Ich weiß nicht genau, was ich will. Ich möchte mehr über Toni Burscheid erfahren. Ich war dabei, als sie ihn von der Decke des Wintergartens losgeschnitten haben.« Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle.
Er ließ sich mir gegenüber nieder.
»Ich kannte Toni seit fünfzehn Jahren. Damals kaufte ich dieses Haus hier. Eines Tages fuhr ich zu ihm, weil man mir gesagt hatte, sein Honig sei der beste.«
»Wie ging das weiter?«
»Der Mann hat mir gefallen, er war ein guter Typ. Ich fuhr immer öfter zu ihm und wir kamen ins Reden. Zuerst harmlos über das, was sich so in der Eifel tut. Dann wurde es persönlicher. Also, wir erzählten uns gegenseitig unsere Leben.«
»Sie haben eine Tochter, die Toni dann ja wohl noch in jungen Jahren erlebt hat. Gab es jemals Anlass, sich zu beklagen, verhielt er sich jemals irritierend?«
»Nie. Meine Tochter ist ein Raubein, schreit gern los, regt sich maßlos auf. Als sie jetzt gehört hat, was von Toni behauptet wird, ist sie ausgeflippt.«
»Aber Sie wussten, dass Toni Burscheid ein Faible für junge Mädchen oder Jungen hatte?«
»Nun ja … Von allein wäre ich nicht auf die Idee gekommen, weil er nie irgendetwas getan hat, was … na ja, was Anlass zur Sorge gegeben hätte. Aber irgendwann hat er mir erzählt, dass ihn Kinder anmachten. Und dass er nichts dagegen tun könnte. Aber dass er noch nie im Leben irgendetwas mit denen angestellt hat. Ich weiß noch, wie verblüfft ich war, und ich weiß auch noch, dass ich es nicht glauben wollte. Er lachte und sagte: Ich kann nichts dafür, Gustav, das ist einfach so.« Mauren räusperte sich, suchte offensichtlich nach Worten. »Wenn Sie behaupten würden: Toni hat die Annegret ermordet, würde ich Sie wegen Verleumdung anzeigen. Toni und ein Mord? Vollkommen undenkbar. Der war … , der war so liebevoll. Was Annegrets Mutter ihm angetan hat, ist nicht wieder gutzumachen. Und die allergrößte Sauerei ist, dass Annegrets Mutter die Geschichte überall herumerzählt hat.« Er war so wütend geworden, dass er mit der rechten Faust auf die Tischplatte schlug; das Gesicht unter den eisgrauen Haaren war hochrot.
»Es gibt zwei Abschiedsbriefe, die er geschrieben hat. In beiden heißt es in der Anrede: ›Ihr Lieben‹. Wer könnte damit gemeint sein?«
Mauren bekam schmale Augen. Unvermittelt stand er auf und verließ die Küche. Er kehrte nach ein paar Minuten zurück und warf einen Brief vor mich auf die Tischplatte.
»Toni meinte wahrscheinlich uns. Lesen Sie das.«
Ich nahm den Brief aus dem Kuvert, es war die gleiche flüssige Schrift. Der erste Satz lautete: Ihr Lieben, das ist aber schön, dass wir zusammen Weihnachten feiern können …
»Wir haben
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