Eifelheiler (German Edition)
er dafür in seinem Innersten bereithielt. Solche
Gedanken verursachten nur Schmerzen. »Es war bestimmt nicht einfach, die
leibliche Mutter zu ersetzen.«
»So etwas schafft man nie vollständig.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sicher haben Sie sich zumindest die
Hochachtung der beiden verdient.«
Sie sah Fischbach irritiert an. »Ja«, sagte sie zögerlich.
»Ihr Verhältnis war also gut«, bohrte Fischbach nach.
»Ganz normal, würde ich sagen. Entspannt.« Sie seufzte. »Allerdings,
das muss ich zugeben, bin ich keine Vertrauensperson mehr für sie. Sie sind
ihrer eigenen Wege gegangen. In ihrem Erwachsenenleben spielte ich nur eine
untergeordnete Rolle.«
Fischbachs Hoffnung, mehr über das soziale Umfeld von Veronika
Kramann zu erfahren, zerstob. Hilde Bartels konnte offensichtlich nichts über
Feinde oder falsche Freunde berichten. »Wie verstanden sich denn die beiden
Schwestern?«
Sie zögerte. »Ich denke, ganz gut«, sagte sie schließlich.
»Hört sich nicht überzeugt an.«
»Ach, Sie wissen doch, wie das ist. Es gab die üblichen
Streitigkeiten. Das ist unter Schwestern doch normal.«
»Streitigkeiten?«
Sie wiegte langsam den Kopf. »Nichts von Bedeutung. Maria hat sich
zum Beispiel immer schon sehr aktiv für den Umweltschutz eingesetzt. Veronika
war da oberflächlicher und provozierte gerne, indem sie das Licht überall
anließ. Oder der Musikgeschmack: Maria hörte ruhigere Stücke, ihre Schwester
liebte das, was ich gerne als Hottentottenmusik bezeichne, mit Geschrei und
viel Gewummere.«
»Verstehe«, sagte Fischbach. »Darüber streiten sich nicht nur
Jugendliche, sondern ganze Generationen. Wie war es denn mit Jungs? Gab es da
auch Zwistigkeiten?« Er spürte einen Stich im Bauch. Sein Darm fühlte sich an
wie eine Schlange im Todeskampf.
Sie schmunzelte und wirkte für einen Moment wie ein junges Mädchen.
»Die Jungs, ja, ja, die liebe Liebe. Mein Wellem war ein stattlicher Kerl, kann
ich Ihnen sagen. Wenn der im Kirmeszelt zuschlug …« Ihre Augen leuchteten auf,
und sie hob scherzhaft die geballte Faust. »Aber zu Hause, da war er lammfromm.
Der hat nie die Hand erhoben, nicht bei mir und nicht bei den Kindern.«
Fischbach atmete innerlich durch. Für einen Moment hatte er
befürchtet, dass sich in dieser Familie hinter verschlossenen Türen über Jahre
hinweg eine Tragödie abgespielt hatte.
»Zwei junge Frauen im selben Alter. Da gab es doch bestimmt
Eifersüchteleien.«
»Davon habe ich nichts mitbekommen. Muss aber nichts heißen. So
etwas trägt man ja nicht unbedingt vor den Eltern aus, schon gar nicht vor
einer Stiefmutter. Aber Maria war Trauzeugin bei Vrönns Hochzeit. Und sie hat
vor Glück geweint, das hat in der Kirche jeder gesehen. Herzzerreißend, sogar
ohnmächtig ist sie geworden, so sehr hat sie sich gefreut.«
Fischbachs Darm gluckste laut.
Hilde Bartels schmunzelte und musterte seinen Bauch. »Sie können
gerne meine Toilette benutzen. Sie platzen mir sonst noch, Sie Armer.«
Kurz überlegte Fischbach, das Angebot anzunehmen, entschied sich
aber dagegen. Mitunter wurde es bei ihm laut, und das wollte er der alten Frau
nicht wirklich zumuten. »Danke, geht schon noch. Und später?«
»Später?« Sie nickte. »Sie können sie gerne auch später benutzen.
Aber wichtige Dinge sollte man nicht aufschieben.«
Fischbach lachte. »Nein, nein, ich meinte Frau Kramanns Beziehung zu
ihrer Schwester heute. Wie verstand sie sich zuletzt mit ihr, mit Freunden,
Bekannten, Arbeitskollegen, wie war ihre Rolle in der Familie? Gab es Streit?
Missgunst? Neid?«
Hilde Bartels’ Hände lagen mit ineinander verschränkten Fingern auf
dem Griff des Gehstocks. Ihre Daumen begannen langsam umeinander zu kreisen.
Mit verschlossener Miene blickte sie über die Blankenheimer Häuserdächer
hinweg. »Das gefällt mir jetzt aber gar nicht mehr«, sagte sie grummelnd. »Auf
was wollen Sie hinaus?«
»Ich möchte mir nur ein Bild machen, mehr nicht.«
»Pfff«, stieß sie aus. »Sie haben doch einen Verdacht. Das kennt man
doch aus dem Fernsehen. Mit meinem Wellem habe ich immer Derrick …«
»Frau Bartels, ich versichere Ihnen, Derrick hat nichts mit
wirklicher Polizeiarbeit zu tun.«
Sie rümpfte die Nase. »Horst Tappert war so ein Netter.«
Fischbach befürchtete, dass er gerade eine heilige Kuh geschlachtet
hatte. Er sah sich schweigend um. Eine Meise saß in dem Kirschbaum im
Nachbargarten und trällerte laut. Eine Katze, die mit gespannten Muskeln unten
auf der
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