Eifelteufel - Kriminalroman
dein Vater wollte ja partout ein Kind. Er war nicht davon abzubringen.«
Warum hatte sie »Vater« derart abfällig gesagt?
»Ich habe versucht, es ihm auszureden. Wirklich alles habe ich versucht, das kannst du mir glauben. Jeden Tag habe ich auf ihn eingeredet. Ich ahnte, nein, ich wusste sogar, dass ich als Mutter nicht geeignet bin. Doch er wischte alle Vorbehalte und Bedenken mit seiner groÃkotzigen Art, die ich inzwischen so sehr hasse, vom Tisch.«
Vor Sabines Augen fiel ihre Mutter in sich zusammen. Sie schwankte und hielt sich am Bettpfosten fest. Jetzt wirkte sie nur noch hilflos und selbst wie ein Opfer. Weinte sie sogar? Zögerlich senkte Sabine die Arme.
»Dabei habe ich versucht, dich zu lieben. Wirklich. Du warst so klein, so zierlich, so zerbrechlich.« Ihre Mutter deutete die GröÃe eines Babys an. »Schutzbedürftig, ja, genau. Ich habe alles gegeben, wozu ich fähig war. Mir kann niemand vorwerfen, ich hätte dich vernachlässigt. Nein, sicher nicht. Dir hat es an nichts gefehlt. Ich habe dich gewickelt, in den Schlaf gewiegt, dich gefüttert, gewaschen, fein herausgeputzt, alles, einfach alles, was man von einer guten Mutter erwartet. Gleichzeitig fing ich an, dich zu hassen.«
Sabine zuckte zusammen. Hass? Hatte sie richtig gehört? Ihre Beine schlotterten. Nur mit Mühe schaffte sie es, sich wieder auf den Stuhl zu setzen.
»Du nahmst mich gefangen, du stahlst mir meine Zeit. Vor dir, ja, da hatte ich Pläne, Träume und Visionen. Ich wollte so vieles erleben. Ich war jung, fühlte mich frei, dorthin zu gehen, wohin mich der Zufall führte. Meditieren in Indien, auf einem Kamel durch die Wüste reiten, Schafe in Neuseeland hüten, Pinguine beobachten. Ja, und auch Sex wollte ich haben, wild und hemmungslos, das gebe ich zu, auch wenn ich dich damit vielleicht schocke. Oder überfordere. Stattdessen hockte ich mit dir in der Wohnung und fühlte mich wie eingesperrt. Die ganze Zeit spürte ich, wie die Distanz zwischen uns wuchs. Und fühlte mich schuldig.« Ihre Stimme brach. Sie sackte auf die Bettkante, zog ein Kissen heran und drückte es an ihren Körper. »Wenn ich das Kind nicht liebe, dachte ich, dann stimmt mit mir etwas nicht. Die Selbstzweifel wuchsen von Tag zu Tag. Jede Minute kam ich mir minderwertiger vor. Unzureichend, erbärmlich, nicht wert, eine Mutter zu sein.« Sie wiegte sich hin und her. »Mit deinem Vater wurde es zunehmend schwieriger. Er verstand nicht, was mit mir los war, konnte sich nicht in mich hineinfühlen. Vorwürfe wurden zur Tagesordnung. Am Anfang stritten wir uns, später schwiegen wir uns nur noch an.«
»Aber das kann nicht sein«, warf Sabine ein, »unsere Abende vor dem Fernseher, ich habe sie geliebt. Es war so ⦠harmonisch.«
Ihre Mutter schnaubte durch die Nase. »Naives Kindchen. Das war doch alles nur geschauspielert.«
»Nein! Das glaube ich dir nicht. So was kann man nicht vorspielen.«
Sie erntete einen spöttischen Blick. »Wie du meinst. Von mir aus, behalte es so in Erinnerung, kann nicht schaden. Aber die Wahrheit ist: Wären wir nicht hier in die Kommune gezogen, hätten dein Vater und ich uns längst getrennt. Es sollte der letzte Versuch sein. Es hat deinen Vater ⦠Magnus ⦠Ãberwindung gekostet, keine Frage. Das rechne ich ihm hoch an. Es sollte mir ermöglichen, ein wenig von dem zu bekommen, was ich mir in jungen Jahren erträumt und erhofft habe. Doch während ich mich hier wohlfühlte, hat es Magnus auf Dauer nicht ertragen. Obwohl er am Anfang munter mitgemischt hat. Allerdings denke ich inzwischen, es war eher so etwas wie ein Trotzverhalten. Magnus â¦Â«
»Nenn ihn nicht so.«
»Wie sonst?«
»Papa. Oder von mir aus auch Vater.«
Sie lachte schrill auf. »Vielleicht denkst du noch mal darüber nach â¦Â«
»Nein!«
»â¦Â wenn ich dir sage, dass er nicht dein Vater ist.«
Sabine fühlte sich, als hätte sie erneut eine Ohrfeige einstecken müssen. »Was?«, hauchte sie ungläubig.
»Zumindest nicht dein leiblicher. Wir haben dich adoptiert. Und genau damit bin ich nicht fertiggeworden. Ich konnte dich nicht als mein Kind akzeptieren. Deswegen die Distanz, so schlieÃt sich der Kreis.«
Sabine stand schwankend auf, rannte aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter und aus dem Haus.
Sie rannte und rannte, als wäre
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