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Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Titel: Eigentlich bin ich eine Traumfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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eines von den Paaren, von denen man weiß, dass sie immer zusammenbleiben werden. So wie bei Mama und Papa, denke ich vergnügt. Obwohl ich Papa wirklich zumindest eine kurze Affäre mit seiner hübschen, blonden Sekretärin gönnen würde, um seine Schultern mal wieder etwas aufzurichten.
    In der Halle ist es eiskalt, was der süße, kleine Tom prompt lautstark an alle weitergibt. Vom erschütternden Anblick, wie meine Mutter andeutungsweise von meinem ehemaligen Mathelehrer vergewaltigt wird, bleibt der unschuldige Junge verschont. Da hat er schon längst »Puti-Puti« für sich entdeckt. Knack, knack, knack! Dafür werden mich später meine Mutter und meine Schwester, und vermutlich auch alle anderen Besucher am obersten Dachbalken aufknüpfen. In einem zarten, weißen Kleid schwebt Mutter über die Bühne, gibt sich aristokratisch und haucht: »Ich habe mich immer auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen.«
    Den Irrsinn am Schluss spielt sie so überzeugend, dass mein Vater besorgt die Stirn runzelt, und Tom sich lautstark über den Arztdarsteller beschwert: »Der soll Oma in Ruhe lassen!«

    W ie war ich?«, will sie kurz darauf wissen, als wir gemütlich bei dem kleinen Italiener sitzen, bei dem wir schon früher immer Geburtstage und andere Feierlichkeiten überstanden haben.
    Â»Und, Tom, wenn wir in der Öffentlichkeit sind, musst du nicht Oma zu mir sagen.«
    Verwundert sieht Tom sie an.
    Â»Was soll er sonst sagen, etwa ›Schätzchen‹?«, giftet meine Schwester.
    Â»Du warst wunderbar«, lenkt mein Vater geschickt ab und meint es vermutlich sogar ehrlich. Wir anderen schweigen betreten. Ich habe insgeheim beschlossen, meine stürmische Liebeserklärung an meine Mutter auf ein anderes Mal zu verschieben. Sie sieht rosig und selbstzufrieden aus. Sobald wird sie wohl nicht verscheiden. Spätestens als sie das Essen bestellt, ist mein plötzlicher Anfall von unendlicher Zärtlichkeit, der mich bei dem Gedanken an ein mögliches Ende übermannt hat, endgültig überwunden. Wie so oft verwandelt sich ihr euphorischer Zustand abrupt in einen noch aufdringlicheren Leidenswillen: Sie ordert einen Salat mit Sardinen. Meine Schwester verdreht die Augen, ich balle unterm Tisch meine Hände zu Fäusten, und Vater blickt ängstlich drein. Es ist vollkommen klar, was als Nächstes passieren wird. Und tatsächlich: Papa, Erik, Ruth und ich bekommen alle einen schönen, gegrillten Fisch mit duftenden Knoblauch-Kräutern, Zitronenschnitzen und marinierten Auberginen. Tom nimmt seine fettige Pizza Salami freudestrahlend entgegen. Nur meine Mutter sieht ihren Salat so angewidert an, als würden die Sardinen darin noch zappeln.
Wann erreicht man nur endlich den seligen Zustand geistiger Reife und gedanklicher Unabhängigkeit, der einen davor bewahrt, sich für seine Mutter zu schämen?
    Â»Der ist ja gar nicht angemacht, wo ist denn das Dressing?« , fragt sie den Kellner wenig freundlich. Der lächelt höflich, man kennt sich, und weist auf den Salzstreuer sowie die Balsamico- und Olivenölflaschen. Misstrauisch beäugt meine Mutter die Flaschen.
    Â»Ist das kaltgepresstes Olivenöl?«
    Ich fange an, mich auf meinem Stuhl zu winden. Diese Szene habe ich schon zu oft erlebt.
    Der Kellner nickt. Sie lässt ihn mit einer huldvollen Geste und ohne ein Dankeschön gehen. Dann sieht sie auf unsere Teller. »Na, zumindest ihr habt etwas Schönes zu essen. Die Blätter hier sind vielleicht labbrig.«
    So lamentiert sie noch eine ganze Weile weiter. Natürlich fällt ihr auch dieses Mal auf, dass Sardinen eigentlich nur salzig schmecken, Salatblätter nach gar nichts und so weiter und so fort. Bis schließlich alle ganz betrübt und schuldbewusst in ihren Tellern stochern. Da findet sie ihre gute Laune schlagartig wieder.
    Â»Was ist denn nur mit euch Schnarchnasen los? Könnt ihr euch nicht einfach mal mit mir freuen? Es war doch eine tolle Aufführung!«, sagt sie.
    Dann kneift sie mich in die Hüfte. »Sag mal, hast du ein bisschen zugelegt, Juli? Am besten hast du mir ja gefallen, als du letzten Sommer so schmal warst. Richtig schön hast du da ausgesehen. Beinahe elegant.«
    Ja, sie meint die Zeit meiner Nierenbeckenentzündung, als ich nichts essen konnte und vom Fieber so schön gerötete
Wangen hatte. Da war ich wirklich dünn und sah sicher

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