Eigentlich bin ich eine Traumfrau
sie ihm sagen können, was sie mir so ungezwungen am Telefon mitgeteilt hat. Nun muss ich die leidige Aufgabe übernehmen. Aber ob ihn die Wahrheit wirklich beruhigen wird? Einen Versuch ist es wert: »Also, Mama hat doch eine Zeitlang ausprobiert, mit Engeln zu reden. Weil man sich bei denen dann wohl etwas wünschen kann, beispielsweise den perfekten Parkplatz oder â¦Â«, stammele ich.
Er starrt mich ganz verwirrt an. Also besser gleich zum Punkt kommen: »Dieses Hin- und Herwälzen und Stöhnen ist keine orgiastische Lust, sondern pure Angst. Einer von ihren Engelsbegegnungen war eben Malik. Und der ist offenbar der Erzengel des Höllenfeuers«, kläre ich ihn so ernsthaft wie möglich auf.
Dummerweise pruste ich danach los.
Mein Vater sieht wie erwartet ziemlich entsetzt aus.
Dann beginnt er zu begreifen und gluckst still in sich hinein. Ich schmiege meinen Kopf für einen Moment erleichtert an seine Wachsjackenschulter. Was für ein schöner, friedlicher, vertrauter Vater-Tochter-Moment.
»Du schuldest mir was«, sage ich dann.
»Ach so, ja. Deine Mutter hat in einem Volkshochschulkurs die Hauptrolle in âºEndstation Sehnsuchtâ¹ ergattert. Heute Abend führen sie es in der alten Fabrikhalle auf«, er gluckst wieder, sieht aber auch ein bisschen stolz aus. Mein Gott, er liebt sie wirklich. Hoffentlich begreift meine Mutter noch in diesem Leben, wie viel Glück sie mit diesem Mann hat.
V or dem Eingang stehen schon meine Schwester Ruth, ihr Mann Erik und mein Neffe Tom. Ich hebe Tom hoch, und er schlingt seine Ãrmchen um mich. Seit er endlich sprechen kann, bin ich richtig vernarrt in ihn. Davor, als er noch ein plärrendes Baby war, hatte ich immer ein wenig Angst vor ihm. Eigentlich machen mir alle Neugeborenen Angst. Schrecklich, wenn frischgebackene Väter und Mütter ihre Babys durch die Redaktion tragen. Ich wage nie, sie anzufassen und weià auch gar nicht wie man angesichts der verschrumpelten, nacktmullähnlichen Gesichter ein glaubwürdiges »SüüüÃ!« über die Lippen bringen soll. Insgeheim beunruhigt mich auch der Gedanke, sie könnten meine Furcht wittern und sofort anfangen zu brüllen. Es soll ja mit Babys so sein wie mit Tieren: Sie durchschauen instinktiv die innersten
Abgründe. Und ich bin offensichtlich ein verlogenes Miststück, das Schlammtöne tragen muss.
Tom ist nun aber wirklich süÃ, und ich bilde mir ein, eine ziemlich coole Tante zu sein, die weiÃ, was kleinen Jungs gefällt. Ich habe ihm »Puti-Puti« mitgebracht. Das ist ein neues japanisches Spielzeug, mit dem man das Zerdrücken von Luftpolsterfolie imitieren kann. Das habe ich früher geliebt. Knack, knack, knack. Und diese neue Erfindung passt in jede Hosentasche und ist immer wieder einsetzbar. In Japan ist sie auch bei den Erwachsenen der Renner, weil man damit so gut Stress abbauen kann. Einfach Blase um Blase zerquetschen, und schon ist der Stress weg.
Ich hatte auch mal eines, denn angeblich soll Puti-Puti auch diätfördernd wirken: Wer vor dem Fernseher Luftbläschen mit der Hand zerdrückt, kann sich keine Chips in den Mund schaufeln. Ich habe es probiert, aber irgendwann angefangen, auf dem Spielzeug rumzukauen. Und das billige Plastik ist sicher giftig. Deswegen habe ich meins weggeworfen. Ups, bringe ich Tom womöglich gerade in Lebensgefahr? Das würde auch den wütenden Blick meiner Schwester erklären. Zum Glück steht uns an diesem Abend noch etwas bevor, das Ruth noch viel mehr fürchtet als alle »Puti-Puti« Asiens: Mutter in der Rolle der Blanche DuBois. Das lenkt sie von meinem Fehlverhalten ab.
»Ist es nicht schrecklich?«, flüstert sie mir zu.
Ich nicke.
Erik grinst. Er ist eigentlich ein toller Mann, absolut resistent gegen alle Anfälle von Gehirndurchfall, die in unserer Familie â zumindest an der Front der älteren weiblichen Verwandten â epidemisch verbreitet sind. Ich bin meiner
Schwester sehr dankbar für ihre konservative Wahl: Erik ist Steuerberater und hilft mir jedes Jahr, wenn ich wieder keine Belege aufbewahrt habe. Ruth ist Lehrerin für Kunst und Musik. Ein bisschen ist die musische Ader unserer Mutter wohl auf uns übergegangen, auch wenn wir versuchen, sie in eine gesellschaftsfähige Form zu pressen.
Erik und Ruth kennen sich schon seit der Schulzeit und auch wenn sie gelegentlich streiten, sind sie
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