Eigentlich bin ich eine Traumfrau
gefehlt hat. Nach ein paar dramatischen Verwicklungen lebt das frischgebackene Paar tatsächlich eine Weile glücklich miteinander, bis er das Opfer einer Täuschung wird und glaubt, die Geliebte würde ihn betrügen. Er rennt aufgewühlt in den Wald und ertränkt sich im Fluss in seinem Spiegelbild.
Die ganze Geschichte ist mit sehr viel griechischer Mythologie und Symbolen aufgeladen. Es ist wunderbar. Ganz so wie in alten französischen Filmen, in denen die Leute sich in Landhäusern treffen, um endlose philosophische Gespräche zu führen. Wo sich Paare hintergehen, mit sich selbst und ihren Leben hadern, zu viel trinken, zu viel rauchen und zwischendurch geheimnisvoll schweigen. Mit todernster Miene geben ehebrecherische Frauen ihre tiefsten Gefühle preis: »Ich habe die Lüge immer verabscheut, und nun lebe ich sie.«
Und die männlichen Liebhaber entgegnen so etwas wie: »Die Lüge ist doch nur die Schminke unserer Seele, ich werde
dich von ihr reinwaschen.« Dann reiÃen sie die Frau mit brutaler Leidenschaft in die Arme.
So wie diese Filme ist Rafaels Buch. Man kapiert zwar nichts, und die Figuren verhalten sich so befremdlich, dass man nicht einmal richtig mit ihnen mitfiebern kann, aber gleichzeitig weià man: Hier berührt einen die ganz groÃe Kunst. Und ich werde diesen wunderbaren Mann, der sie hervorzubringen vermag, in zwei Wochen treffen.
Jäh werden meine Träumereien von lautem Geschrei unterbrochen. Es ist natürlich meine Mutter. Was für ein quälender Lärm. Er verdirbt jeden schönen Gedanken, und mit der himmlischen Versunkenheit ist es vorbei. Apropos himmlisch: Mein Vater ruft gerade gefasst, aber lauter als üblich: »Entweder die Engel oder ich!« Dann herrscht unerwartet absolute Stille. Perfekt! Ein grandioses Schlusswort für einen Tag im Theater des Ehelebens! Fast möchte ich ihm laut applaudieren.
A m nächsten Morgen macht meine Mutter einen seltsam besänftigten Eindruck. Die Worte meines Vaters scheinen gewirkt zu haben. Sie hat offenbar nachgegeben und sich für ihr irdisches Unglück statt für die himmlischen Qualen entschieden.
Das ist nun schon das zweite Mal, zumindest soweit ich es abschätzen kann, dass die rationale Welt meines Vaters gesiegt hat. Sein erster und bis zu diesem Moment einziger Triumph ist dafür ein groÃer gewesen: Ihm folgten eine Hochzeit und meine Entstehung. Mein Vater lernte
meine Mutter während des Studiums kennen. Sie studierte Kunstgeschichte und Volkskunde. Er studierte Physik. Ich vermute ja immer noch, dass sie sein Schwerpunktfach Astronomie mit Astrologie verwechselt hatte und glaubte, dass er so immer ganz wunderbar ihre Sternenkonstellationen berechnen würde. Seine tatsächlichen Rechnungen haben sie dann eher enttäuscht und gelangweilt, aber da war schon meine Schwester unterwegs. Und nach wochenlangem Geziere hat Mutter schlieÃlich nachgegeben und seinen Antrag angenommen. Ãber sein üppiges Professorengehalt hat sie sich hinterher nicht beklagt, über seine verstaubte Tätigkeit hingegen sehr.
Aber auch wenn sie an diesem Tag die erstaunliche Sanftmut einer Hysterikerin ausstrahlt, die von ihrem Mann endlich die beruhigende Ohrfeige erhalten hat, und obwohl sie kein Wort mehr über meine Rundungen oder meine Unfähigkeit, einen Mann an mich zu binden, verliert, bin ich doch dankbar, als ich endlich wieder auf meinem eigenen Sofa liegen darf.
S amstagnachmittag, das heiÃt, ich habe noch fast ein ganzes Wochenende vor mir. Ich trage eine porenverfeinernde Heilerdemaske auf, die höllisch brennt. Das spricht bestimmt für ihre Wirksamkeit. Und ich habe inzwischen ja Gott sei Dank jede Menge Zeitschriften, die mich hoffentlich von den Schmerzen ablenken. Ich lege mir Notizblöcke und Stifte bereit, um mir das Wichtigste zu notieren.
»So wirken Sie geheimnisvoll und sexy«, lautet dann auch
verheiÃungsvoll die Ãberschrift des ersten Artikels, den ich mir vornehme. Es steht allerdings viel bekanntes Blabla drin, das einem die Mutter schon als Teenager eingedrillt hat: rar machen, nicht so oft anrufen, das eigene Leben nicht vernachlässigen, ein paar Geheimnisse für sich behalten. Zwei Tipps sind für mich neu. Die klingen ziemlich wirksam, deswegen schreibe ich sie mir gleich auf. Da ist einmal »Das Lächeln des Buddha«. Dabei soll man bei leicht geöffneten Lippen ganz langsam
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