Eigentlich bin ich eine Traumfrau
klasse aus, zumindest wenn man einen glasigen Blick über tiefen Augenringen herrlich verrucht und sexy findet.
Meine Mutter kämpft mit aller Kraft um ihre Figur â Yoga, Pilates, Tai Chi in der Volkshochschule und Hanteltraining im Fitnessstudio. Letzteres nur so sicherheitshalber, falls die ganzheitlichen Methoden doch nicht effektiv sein sollten, obwohl sie natürlich keinesfalls an ihnen zweifelt. Wie gesagt, sie kann sehr pragmatisch sein.
Leider erwartet sie von ihren Töchtern den gleichen Einsatz. In diesem schwierigen Moment beweist Erik, dass Männer naiv genug sind zu glauben, eine peinliche Situation retten zu können, indem man gleich eine noch schlimmere herbeiführt. »Die Aufführung war wirklich toll, Frau Sommer. Aber nun erzähl doch mal, Juli, hast du einen Neuen?«
Gespannt sehen mich alle an. Erik hält mich für ein kunterbuntes Zirkuspferd, weil er gleich eine seiner ersten Freundinnen geheiratet hat und sich ein so wildes Single-Leben gar nicht vorstellen kann. Dabei weià doch jeder, der ein bisschen Zeitung liest, dass Singles im Schnitt noch weniger Sex haben als langjährige Paare.
»Juli?«, fragt meine Mutter lachend. »Das glaube ich nicht. Dann würde sie doch mehr auf sich achten. AuÃerdem sind ihre Ansprüche viel zu hoch.«
Da platze ich. »Doch, es gibt da tatsächlich jemanden. Ihm sind ÃuÃerlichkeiten halt nicht so wichtig wie dir, Mama.«
»Wer ist es?« Jetzt sieht auch Ruth gespannt aus, die bislang entnervt geschwiegen und Tom angestarrt hat. Der gibt keinen Ton von sich. Er hat sich den Mund so mit Pizza
vollgestopft, dass die Tomatenstücke schon wieder einen Fluchtweg aus der breiigen Masse suchen. Sie laufen in Schlieren sein Kinn hinunter.
»Er ist Schriftsteller und ziemlich bekannt. Ihr habt seinen Namen sicher schon gehört. Aber ich werde ihn euch erst verraten, wenn es wirklich etwas Festes ist.« Oh, was rede ich denn da? Ob das noch als Notwehr durchgeht?
Sie platzen vor Neugierde. Sie dringen in mich und quetschen mich aus. Ich schweige beharrlich. Dann hat meine Mutter es zum Glück satt, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. »Ich habe mich übrigens für einen Biografiekurs eingeschrieben. Gemeinsam mit Irina, damit unsere Töchter noch etwas von uns haben, wenn wir einmal nicht mehr sind.«
Irina ist eine ihrer engsten Freundinnen. Eine arrogante Zicke, mit einer genauso zickigen Tochter namens »Jolie«. Der Name klingt fast wie meiner. Nur stammt ihrer aus dem Französischen und bedeutet »hübsch«, während meiner bloà den Monat meiner Zeugung benennt und damit im direkten Vergleich geradezu ordinär anmutet. Jolie besaà früher die gesamte »Traumhaar Barbie«-Ausrüstung mitsamt der Kurbel, mit der man auch dem eigenen Haar ein paar Wellen verleihen konnte. Wenn man es geschickt anstellte. Meine Zotteln mussten im Gegensatz zu Jolies weichem Blondhaar meistens mit einer Schere aus den Klammern entfernt werden. Wir bemühten uns alle um ihre Gunst. Ihre einzige Schwäche war, dass sie glaubte, eine groÃe Sängerin zu sein. Deswegen wurden die Barbies und ihre anderen, nicht ganz so perfekten Freundinnen zum Publikum degradiert, während sie für uns zunächst
Disney-Lieder und später die aktuellen Pop-Hits nachsang. Natürlich war sie in der Schule das Mädchen, das in der Band singen durfte. Sie schlief sowohl mit dem Gitarristen als auch mit dem Bassisten, von denen wir anderen nur träumen konnten. Sie hat auch mit Erik geschlafen, bevor er meine Schwester kennenlernte. Ganz verziehen hat Ruth der »Schlampe« trotzdem nie. Die »Schlampe« singt inzwischen nicht mehr, ist aber mit einem erfolgreichen Musikproduzenten verheiratet. Sie gibt sein Geld gerne mit vollen Händen aus, auch wenn er das obligatorische »Ich bring dich ganz groà raus, Baby«-Versprechen nicht gehalten hat. Für all diese phänomenalen Leistungen wird sie von unserer Mutter gerne als leuchtendes Vorbild für ihre eigenen Töchter bemüht.
»Das ist ja toll«, höhnt Ruth, »erfahren wir dann in der Biografie endlich, warum du nicht wie ganz normale Mütter einfach mal zur Entspannung einen Apfelkuchen backen kannst, statt diese ganzen Kurse zu belegen?«
Giftig sieht meine Mutter sie an. Ich finde Ruths ÃuÃerung auch etwas hart. Aber vermutlich könnte ich diese unterschwellige
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