Eigentlich bin ich eine Traumfrau
erzähle ich so unbefangen wie möglich. Vielleicht schreckt ihn das endgültig davon ab, mich als Partnerin in Erwägung zu ziehen. Bislang hatte ich ja keinen Freund, von dem ich erzählen konnte. Und die Ausrede »Ich möchte zurzeit keine Beziehung« zieht nie. Das ist für Männer eher eine eindeutige Aufforderung zur Jagd. Kurz dachte ich, dass Andrés Körper zusammengezuckt wäre, aber in seinem Gesicht sehe ich keine groÃe Gefühlsregung. Sehr schön. Dann muss ich mir darum zumindest keine Gedanken mehr machen.
D en Rest des Tages verbringe ich damit, mir auszumalen, wie Rafael und ich uns am nächsten Abend in die Arme fallen. Es ist wie in den kitschigen Liebesromanen: Böse Widersacher (böse Toni) und tragische Verstrickungen (böse, böse Toni) hätten uns beinahe entzweit. Aber wer füreinander bestimmt ist, findet sich â allen widrigen Umständen (missgünstige Freunde) zum Trotz.
Als Toni klingelt, liege ich schlafend auf dem Sofa. Ich taumle zur Tür.
»Los, mach dich schnell fertig. Zieh doch das tolle neue
Wickelkleid an. Das hat ja offenbar auch bei Rafael gewirkt«, ruft Toni beim Reinkommen.
Ich gestehe ihr, dass ich es noch gar nicht getragen habe.
»O.K., dann wirdâs eben eine Premiere, und ich kann ein bisschen mit dir angeben, Schöne.«
»Komm mir nicht so. Mit Komplimenten wirst du mich nicht davon abhalten, dich nach PaPi auszufragen.«
Sie wird schon wieder rot.
»Nenn ihn nicht so. Das klingt so kindisch.«
Das wird ja langsam zum reinsten Rollentausch. Da finde ich nun langsam zu einem neuen, souveränen Ich, und Toni gerät wegen so einem Kleinkram in Verlegenheit. Moment, vielleicht stimmt da tatsächlich etwas ganz und gar nicht. Habe ich nicht vor kurzem erst über ein schlechtes Karma sinniert, das mich möglicherweise umgibt? Eines, das alles Glück im Universum für mich aufsaugt, um die anderen in Chaos und Verzweiflung zurückzulassen? Vielleicht wollte Picard mich ja wegen meines Experimentierens mit sinnloser Ehrlichkeit feuern. Toni hat sich dann sicher selbstlos für mich eingesetzt und dafür sogar einen Rotwein-Abend mit PaPi in Kauf genommen, in dessen Verlauf er sie mit einem Baguette niedergeschlagen und gewaltsam genommen hat. Das ist die Lösung. Punkt. Ich werde einfach kündigen, wie Rafael Romane schreiben und die arme Toni PaPis lüsternen Armen entreiÃen.
Sie möchte aber gar nicht entrissen werden. Die beiden haben sich zufällig beim Einkaufen getroffen, und Picard sah so unglaublich melancholisch aus. Offenbar ist seine Mutter sehr krank. Und da Toni ja gerade eine Ahnung davon bekommen hatte, wie es wäre, ein oder gleich beide
Elternteile zu verlieren, wurde sie einfach von ihren Gefühlen übermannt. Sie bot ihm an, aus dem zerstreut zusammengewürfelten â übrigens völlig baguettefreien â Durcheinander in seinem Einkaufswagen etwas Passables zu kochen. Beim Zwiebelschneiden stellte sich heraus, dass in der frankophilen Nervensäge ein sehr humorvoller, einfühlsamer Mann steckt. Wenn er sich nicht mehr auf seinen französischen Akzent konzentriert, kann er angeblich äuÃerst vernünftige Gedanken äuÃern.
»Und plötzlich saÃen wir knutschend auf seinem Sofa, und es war wunderbar.«
Igitt! Vielleicht doch lieber keine Details. Aber sie hört gar nicht mehr auf zu schwärmen. Sie hat wohl die Nacht ihres Lebens erlebt. Sex, der das Leben verändert und auch gefühlsmäÃig total in die Tiefe geht.
»Und warum habt ihr dann so fertig ausgesehen?«, frage ich vorsichtig.
Nun: Nach dem phänomenalen Ereignis ist Toni fluchtartig aus seiner Wohnung gestürmt â von wegen selbstständig und unabhängig und so. Er meldete sich danach auch nicht mehr. Das sei ziemlich schlimm gewesen, so als wäre man nur ein untergeordnetes Betthäschen. Es folgte das Ereignis, dessen unfreiwilliger Zeuge ich geworden bin: Er schleifte sie vor die Tür, zerrte sie in den Aufzug, drückte den Knopf für das unterste Stockwerk und küsste sie wild. Picard gestand ihr, nachdem sie seine Küsse entsprechend leidenschaftlich erwidert hatte, dass er sich nicht getraut habe, sich bei ihr zu melden, weil sie immer als toughe, moderne Frau auftrete, die eigentlich gar keinen Mann braucht.
Ich bin schwer geschockt. Was so alles um einen herum
geschieht,
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