Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
gekommen, sondern wegen John.« Mehr sagte sie nicht, aber ich hörte es trotzdem. Und der Grund dafür sind ich und meine Berufung . Ehe ich etwas erwidern konnte, wechselte sie das Thema. »Ich habe Onkel Macon gefragt, was mit Menschen geschieht, die im Koma liegen.«
Ich hielt gespannt den Atem an, auch wenn ich meine Zweifel hatte. »Und?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Er wusste es auch nicht genau. Caster glauben, dass der Geist unter gewissen Bedingungen den Körper verlassen kann, wie beim Raumwandeln. Onkel M hat es als eine Art von Freiheit beschrieben. Als ob man ein Schemen wäre.«
»Das wäre doch gar nicht so übel.« Ich dachte an den Jungen, der sinnlose Dinge schrieb, und an den älteren Mann mit seinem Jojo. Sie raumwandelten nicht und sie waren auch keine Schemen. Sie waren in der für einen Sterblichen schrecklichsten aller Lebenslagen. Gefangen in kaputten Körpern.
Und das konnte ich nicht ertragen. Nicht bei meiner Tante Prue. Ganz besonders nicht bei meiner Tante Prue.
Ohne ein weiteres Wort ging ich an Lena vorbei ins Krankenzimmer.
Tante Prue war der zierlichste Mensch auf der Welt, oder wie sie selbst es gerne ausdrückte: Sie wurde mit jedem Jahr, das verging, gebeugter und mit jedem Ehemann, der verstarb, kleiner. Deshalb reichte sie mir, wenn sie aufrecht stand, gerade bis zur Brust, trotz der Gesundheitsschuhe mit den dicken Sohlen.
Wie sie da in diesem großen Krankenhausbett lag, mit allen möglichen Schläuchen, die in sie hineingingen oder aus ihr herauskamen, sah Tante Prue noch viel zierlicher aus. Sie machte kaum eine Delle in die Matratze, so leicht war sie. Durch die Plastikfensterläden auf einer Seite des Zimmers fiel Sonnenlicht herein und malte Streifen auf ihr regloses Gesicht und ihren reglosen Körper. Beides zusammen erweckte den Eindruck, als befände sie sich auf der Krankenstation eines Gefängnisses. Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. Zumindest nicht gleich.
Ich machte einen Schritt in Richtung Bett und betrachtete die Monitore, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wozu sie gut waren. Sie piepsten ständig und zeigten den Verlauf irgendwelcher Kurven. In dem Raum befand sich nur ein einziger Stuhl, pfirsichfarben gepolstert und steinhart, daneben stand ein zweites, leeres Bett. Nach allem, was ich in den anderen Krankenzimmern gesehen hatte, kam mir dieses Bett wie eine Falle vor, die auf ihre Beute wartete. Ich fragte mich, welcher kaputte Mensch sich wohl darin verfangen hatte, wenn ich das nächste Mal wiederkam, um Tante Prue zu besuchen.
»Ihr Zustand ist stabil. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sie hat es bequem. Sie ist im Moment nur nicht bei uns.« Eine Krankenschwester zog die Tür hinter sich zu. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ich sah dichte schwarze Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. »Ich lasse euch für ein paar Minuten allein, wenn ihr wollt. Sie hat seit gestern keinen Besuch mehr gehabt. Es tut ihr sicher gut, wenn ihr etwas Zeit mit ihr verbringt.«
Die Stimme der Krankenschwester klang beruhigend, sogar vertraut, aber ehe ich sie richtig anschauen konnte, fiel die Tür schon hinter ihr ins Schloss. Am Tisch neben dem Bett meiner Tante stand eine Vase mit einem frischen Strauß Verbenen. Sie sahen aus wie die Blumen, die Amma hingebungsvoll im Haus gezogen hatte. »Sommerhitze« nannte sie sie. »Rot wie das Feuer.«
Aus einer Eingebung heraus ging ich zum Fenster und stieß die Läden auf. Licht strömte herein und die Gefängnisgitter verschwanden. Über das Fensterbrett zog sich eine dicke Linie aus weißem Salz.
»Amma. Sie war gestern hier, als wir mit Tante Grace und Tante Mercy zusammen waren.« Grinsend schüttelte ich den Kopf. »Wundert mich, dass sie nur Salz dagelassen hat.«
»Na ja …« Lena zog ein geheimnisvolles Leinensäckchen, das mit einem Zwirnfaden zugebunden war, unter Tante Prues Kissen hervor. Sie roch daran und verzog das Gesicht. »Lavendel ist das jedenfalls nicht.«
»Das ist bestimmt zu Tante Prues Schutz.«
Lena zog den Stuhl näher ans Bett. »Ich bin froh. Ich hätte Angst davor, hier alleine zu liegen. Es ist viel zu still.« Sie griff nach Tante Prues Hand, dann zögerte sie. Der Infusionsschlauch war über die schmalen Fingerknöchel geklebt.
Gesprenkelte Rosen, dachte ich, als ich die altersfleckigen, gekrümmten Hände sah. Diese Hände sollten ein Gebetbuch halten oder Gin-Rommé-Karten. Eine Katzenleine oder eine Landkarte.
Ich verdrängte die
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