Ein Abend im Club
wartete, bis der Lärm aufhörte. Er wurde leiser, dann verstummte er. Jetzt ist alles still. Simon schläft. Ich kann gehen, dachte Debbie.
10.
Auch sie bildete sich ein, für Suzannes Tod verantwortlich zu sein. Debbie, meine ich. Dabei hatte sie nun wirklich keinen Grund. Aber man findet immer einen. Und sie fand einen. Ich habe ihr den Mann weggenommen, sagte sie mir. Aber nein, erwiderte ich, du hast ihr Simon nicht weggenommen, du hast sie an seiner Seite ersetzt. Und noch mehr in der Art. Aber ich war weit davon entfernt, sie überzeugen zu können. Nur sie wusste, was sie sich vorzuwerfen hatte. Man ist immer der Einzige, der es weiß.
Wir haben erst viel später darüber gesprochen. Sie war mit Simon übers Wochenende zu uns aufs Land gekommen. Wir waren für einen Augenblick allein. Simon machte nach dem Mittagessen mit Jeanne, meiner Frau, einen Spaziergang im Park.
Debbie und ich hatten uns unter dem großen Sonnenschirm im sonnigen Hof noch einen Kaffee eingeschenkt. Sie sagte mir, als sie dann endlich zu Hause gewesen sei:
Als ich dann endlich zu Hause war, konnte ich bei dem Gedanken, dass Simon allein in diesem Hotelzimmer schlief, kein Auge zutun. Ich liebte ihn schon, sagte sie. Sie ist bezaubernd, dachte ich, Simon ist ein Glückspilz.
Dann sagte sie: Ich wollte ihn zurückhalten, zumindest für ein paar Tage, und ihn dann nicht wieder weglassen, ihn zum Bleiben überreden, ihm sagen, was ihm sonst niemand mehr sagte, dass sein Leben die Musik war, das Klavier, Spielen und nicht – na ja. Ich wollte ihn in meiner Nähe haben. Ich warf mir vor, dass ich ihn nicht mit zu mir geschleppt hatte. Ich hätte mich durchsetzen sollen. Er hatte Lust dazu, das weiß ich, er hat es mir ja auch gesagt. Also habe ich, um mich zu betäuben, ganz allein weitergetrunken, habe an ihn gedacht und bin schließlich eingeschlafen.
Auch Suzanne gelang dies, allerdings ohne Alkohol, dank schierer Erschöpfung, als der Morgen anbrach mit seinem besänftigenden Licht des frühen Juni.
Simon schlief schlecht und wenig. In mehreren ein- oder zweistündigen Phasen. Das Ganze zog sich bis etwa zehn. Er hatte Hunger. Den Hunger spürte er. Von der Uhrzeit hatte er keine Vorstellung. Daran dachte er, als er sich waschen wollte.
Er ging ins Badezimmer. Er rieb sich über die Wange und dachte an seinen Rasierapparat. Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und dachte an seine Zahnbürste. Er hatte weder das eine noch das andere. Nur einen Anflug von schlechter Laune. Und einen üblen Geschmack im Mund. Nur ein Zahnpastapröbchen und ein Tütchen Duschgel. Mist. Einen Spiegel? Das ja, einen sehr großen, und der tat seinen Dienst als Spiegel.
Simon drückte aus der lächerlichen Tube ein bisschen Zahnpasta auf die Fingerkuppe und rieb sich damit über die Zähne, besser als nichts, dachte er. Der Minzegeschmack reizte seinen Magen. Ich habe Hunger, dachte er. So, jetzt dusch ich erst mal. Morgens redet man sich gut zu.
Im Allgemeinen das Erste, was er tut, bevor er ins Bad geht. Zu Hause in Paris badet er. Dass es hier nur eine Dusche ist, macht keinen Unterschied. Dusche oder Bad, vorher legt er Brille und Uhr ab.
Seine Brille war nicht auf seiner Nase. Natürlich nicht. Er nimmt sie immer zum Schlafengehen ab. Seine Armbanduhr war nicht an seinem Handgelenk. Nicht natürlich. Er nimmt sie nie zum Schlafengehen ab. Wo hab ich sie gelassen?
Sicher auf dem Nachttisch. Er erinnerte sich nicht, sie dorthin gelegt zu haben. Sehen wir trotzdem mal nach. Die Uhr lag auf dem Nachttisch. Das war bestimmt Debbie, dachte er. Sie muss mir die Uhr abgenommen haben. Stimmt, und unter die Uhr hatte sie einen kleinen Zettel mit folgender Nachricht gelegt:
Wenn morgen schönes Wetter ist. Blick aus dem Fenster. Es war schönes Wetter. Gehe ich an den Strand. Kommen Sie doch auch, wenn Ihnen das Herz dazu rät. Blick aufs Herz. Eher lau. Sein Magen hingegen schrie vor Hunger. Das sehen wir, wenn ich gegessen habe, dachte er.
Debbie hatte ein Postskriptum angefügt, das länger war als die eigentliche Nachricht: Ich bin immer rechts in einem stillen Eckchen hinter der dritten Buhne, vom Häuschen des Surfbrettverleihers aus gezählt. Simon duschte, zog sich an und ging nach unten.
Könnten Sie mir einen Gefallen tun?, fragte er den Jungen an der Rezeption. Simon hielt ihm den Schlüssel hin. Ohne ihn abgeben zu wollen. Ob er ihn loslassen würde, schien von der Antwort des Jungen abzuhängen. Der den Schlüssel am anderen Ende
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