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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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hielt. Gewiss, Monsieur, sagte der Junge. Nicht der von der Nacht: Worum geht es?
    Simon ließ den Schlüssel los. Der Junge hängte ihn ans Brett und wandte sich ihm wieder zu: Bitte sehr?, fragte er. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Simon betonte das »wäre«, wenn Sie für mich nachfragen würden, wann der nächste Zug nach Paris fährt, am späten Vormittag oder frühen Nachmittag, ganz wie Sie mögen, ich gehe jetzt frühstücken, ich bin im Speisesaal, übrigens wo ist hier der Speisesaal? Gleich links, sagte der Junge, aber um diese Zeit.
    10.30 Uhr. Keine Bedienung mehr. Nur ein verspäteter Gast weiter hinten. Er las noch die Zeitung zu Ende. Simon näherte sich ihm. Fragte, ob er noch darauf hoffen könne, etwas zu bekommen. Die Zeitung eine deutsche Tageszeitung. Die gesenkt wurde und das mürrische Gesicht eines Mannes enthüllte, der Simon antwortete: Fragen Sie in der Küche nach.
    Mit seinem Rufen erreichte Simon, dass ein Mädchen an die Durchreiche kam und sich zur Zubereitung einer Kanne Tee bereit erklärte: Ich bringe sie Ihnen dann, sagte sie. Ich setze mich an den Tisch da, sagte Simon.
    Der zufällig ausgewählte Tisch bot einen Platz mit dem Rücken zum Deutschen. Nein, nicht wegen irgendwelcher Kriegsressentiments. Simon hasste es, wenn man ihm beim Essen zusah. Vor allem, wenn man vor Hunger stirbt. Dann ist Schluss mit den guten Manieren. Er fühlte, dass er sich voll stopfen würde. Zumal er in der Mitte des Speisesaals auf einem noch nicht abgeräumten runden Tisch einen Korb voller frischer Backwaren erspäht hatte.
    Er verschlang gerade sein drittes Croissant. Die junge Frau brachte ihm den Tee. Er dankte ihr mit vollem Mund und schenkte sich dann eine große Tasse voll, ohne ihn vorher ziehen zu lassen. Die nächste Tasse wird dann besser, dachte er.
    All das hatte einen gewissen Geschmack nach Freiheit. All das, nämlich das Woanders-Sein. In einem anderen Geruch. In einer anderen Zeit. An einem neuen Ort, der die Augen beschäftigt. Die Fenster gehen nicht auf denselben Himmel. Der Tee hat nicht denselben Geschmack. Sich mit Croissants voll schlingen. Dabei denken, lange her. Sich glücklich fühlen. Der Junge von der Rezeption kam mit der Auskunft.
    Hier ist Ihre Auskunft, sagte er. Ein bisschen ein Ohrfeigengesicht, aber absolut nett. Er überflog noch einmal seine Notizen. Und fragte sich beim Lesen, ob Simon es wohl würde lesen können. Er kam offenbar zum Schluss, dass nicht, denn er zögerte kurz und behielt dann den von einem Block abgerissenen Zettel, nach dem Simon schon die Hand ausgestreckt hatte.
    Ich kann nicht gut schreiben. Die Orthographie, sagte Simon. Nein, erwiderte der Junge, die Rechtschreibung. Gut, dann höre ich also, sagte Simon. Und die Graphologie?, fragte er sich, während der Junge seine Notizen laut vorlas. Würden Sie’s noch einmal wiederholen, ich hab nicht zugehört, sagte Simon. Der junge Mann lächelte und las freundlich noch einmal den Anfang vor.
    Abfahrt 10.12 Uhr. Ankunft in Paris 13.05 Uhr. Aber der ist schon weg. Jetzt lächelte Simon. Danach haben Sie noch den um 13.21 Uhr, sagte der Junge, dann kommen Sie um 15.47 Uhr an. Tatsächlich?, erkundigte sich Simon, er wunderte sich, dass der zweite schneller war: Sind Sie sicher? Ja, sagte der Junge, oder Sie nehmen einfach den um 15.23 Uhr, dann sind Sie um 18.07 Uhr in Paris.
    Simon hätte es fürchterlich gefunden, Paris um 18.07 Uhr wiederzusehen. Jeder hat seine dunkle Stunde. Für Simon war sie um sechs Uhr abends. Gut, ich seh mal zu, vielen Dank, das war sehr freundlich von Ihnen, lassen Sie mir den Zettel hier?
    Der Zettel des Jungen stieß in Simons Tasche auf Debbies Zettel. Ach, sagte er und rief den jungen Mann noch einmal zurück: Das Häuschen vom Surfbrettverleiher, wo ist das?
    Am Strand, sagte der junge Mann. Das dachte ich mir schon, sagte Simon, aber wo genau? Da gleich gegenüber, sagte der junge Mann, Sie gehen über die Uferstraße, nehmen die erste Treppe rechts runter zum Strand, und da ist das Häuschen, aber erstens ist gerade Ebbe und zweitens kein bisschen Wind.
    Macht nichts, sagte Simon, trotzdem danke für den Zug. Gern geschehen, Monsieur, sagte der Junge. Und ging.
    Kurze Zeit später sah Simon ihn wieder, als er seine Rechnung zahlen wollte, bevor er nach draußen ging. Debbie hatte schon bezahlt. Wann?, fragte Simon. Heute früh so gegen zehn, sagte der Junge. Simon verließ das Hotel.

11.
    Bis zu dem Zug um 13.21 Uhr hatte er noch Zeit, am Strand spazieren

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