Ein Abend im Club
Manchmal habe ich Simon sogar beneidet. Als sie da sang, sagte er mir, wurde mir klar, dass nichts mehr zu retten war, ich dachte: Ich werde ihr ganz sicher nachgeben, ich werde noch ein bisschen dagegen ankämpfen und dann werde ich zulassen, dass ich sie liebe.
Debbie knickste lächelnd wie eine kleine Ballettschülerin. Simon klatschte nicht mit den anderen. Er betrachtete Debbie. Und als er sie auf sich zukommen sah, hatte er diesen dummen, abstrusen und unverständlichen Gedanken: Sie gehört mir, und dann, noch idiotischer, noch rätselhafter: Sie war schon immer für mich bestimmt. Er war betrunken. Also hellsichtig. Wer betrunken ist, sieht in seinem Innern sehr klar.
Ich fühle mich gut, sagte sie, als sie ihm wieder gegenüber saß. Nicht ihm gegenüber, neben ihm, sie war näher an ihn herangerückt. Sie schien sich sehr gut zu fühlen. Es machte Freude zu sehen, wie gut sie sich fühlte.
Ich fühle mich dermaßen gut, sagte sie, dass es mir die Luft abschnürt, das Herz beklemmt, ich ersticke, so sehr habe ich Lust, Sie zu küssen, und wissen Sie was, ich küsse Sie. Und ohne ihn lange zu fragen, hatte sie schon die richtige Stelle für ihren Kuss gefunden, ganz in der Nähe des Backenknochens, oben auf der schlecht rasierten Wange, die eigentlich sogar überhaupt nicht rasiert war und feucht vor Müdigkeit. Simon ging ein vor Hitze. Debbies Mund, ihre kühlen Lippen auf seiner Wange. Ihm wurde noch wärmer. Sein Herzschlag beschleunigte sich, die Angst.
Ich brauche frische Luft, sagte er, ich ersticke, ich gehe ein, und außerdem bin ich besoffen, wir könnten nicht vielleicht schlafen gehen? Warten wir nicht bis zum Schluss?, fragte Debbie. Ich kann nicht mehr, sagte Simon. Sie sind fast fertig, sagte Debbie, um zwei hören sie auf, dann bringe ich Sie ins Hotel, wenn Sie sich nicht wieder umentschieden haben.
Eine Viertelstunde noch bis zum Schließen des Lokals. Eine halbe bis zum kühlen Bett. Er ließ sich gehen, ließ seinen Körper schlafen, ließ ihn, sicher an Debbies Schulter gelehnt, erstarren, fühlte sich ebenfalls gut, und während er so in der Schwerelosigkeit des geborgenen Kindes schwamm, sah er den Ingenieur wieder vor sich, Suzanne auf dem Bahnsteig, eine Zusammenfassung seines Tages, eigentlich jeder Tag ein kleiner Tod, und eines Tages sieht man angeblich sein ganzes Leben an sich vorüberziehen, dachte er.
Debbie weckte Simon, indem sie ihm sanft den Kopf aufrichtete. Simons Kopf war auf Debbies Schulter gesunken. Debbie hatte ihn in ihrer Halskuhle lasten lassen. Simons Haar kitzelte sie an der Wange.
Sie müssten jetzt aufbrechen, sagte sie leise. Alle anderen waren schon gegangen. Die müde Schöne wollte endlich abschließen. Simon fragte, ob er eingeschlafen sei. Ja, sagte Debbie. Er sah sicher aus wie ein Baby, das aufwacht.
Wie ein runzeliges Neugeborenes. Debbie gab ihm einen weiteren Kuss und half ihm beim Aufstehen. Kommen Sie, sagte sie.
Die Straße. Die Tür des Clubs. Das Neonschild erlosch. Die feuchte, belebende Kühle der Luft erinnerte ihn an die Luft am Meer. Dann fiel ihm ein, dass er am Meer war. Dass das Meer nicht schlief. Dass diese Stadt am Meeresufer schlief. Dass andere Städte ohne Meer schliefen. Dass Suzanne am Seineufer schlief, in einer Stadt mit einem stählernen Turm, einem sich drehenden Leuchtturm, der wacht, über sie, vor allem über die Abwesenden, die Rückkehr der Abwesenden, damit sie nicht untergehen, ein Scheinwerfer für die Schiffbrüchigen, damit man wenigstens klar sieht.
Das wäre gut, dachte er, während er auf der Straße ging, auf dem Bürgersteig wurde ihm schwindlig, auch Debbie war vom Bürgersteig heruntergekommen, sie wollte ihn nicht loslassen, er ging nicht geradeaus.
Das wäre gut, dachte er, wenn sie hierher zu mir käme, sie könnte die Seeluft genießen, dann wird’s eben nichts mit ihrer Mutter, sie braucht ihr nur zu sagen, ich sei krank, und genau das bin ich auch, krank, nicht wahr, Debbie, ich bin doch krank? Wir besuchen sie ein andermal.
Das ist es, sagte Debbie. Sie meinte ihr Auto. Ich mache Ihnen die Tür auf. Kann ich Sie loslassen? Können Sie allein stehen? Jaja, sagte Simon. Sie ließ die Zentralverriegelung aufschnappen und half Simon dann beim Einsteigen.
Die gönnt sich auch alles, die Kleine, dachte er, als er endlich in dem Cabriositz lag. Sie beutet die armen Musiker aus. Ich wüsste ja gern, wie viel sie den drei Jungs zahlt, ich muss sie mal fragen. Darf ich ihn auch mal fahren?, fragte
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