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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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Abend.
    Hinter der dritten Buhne war niemand. Simon dachte, er habe sich geirrt. Er zählte noch einmal die Buhnen. Vom höchsten Felsblock aus. Die Hand über den Augen. Staunte, dass er eine solche Entfernung zurückgelegt hatte. Dieser lange, gebogene Schaumstreifen.
    Der kühle Wind vom Meer fuhr ihm unter die Jacke und ließ die dünne Schweißschicht erkalten, was eine eigenartig unbestimmte Empfindung bei ihm auslöste, zwischen warm und kalt, ein leichtes Frösteln bei leichtem Erhitztsein.
    Simon flüchtete sich hinter die Buhne und zog, vorm Wind geschützt und in der prallen Sonne, seine Jacke aus, breitete sie auf dem feuchten Sand aus und setzte sich darauf. Dann krempelte er die Hemdsärmel hoch, legte die Hände um die Knie und betrachtete das Meer. Rasch kam er in den Genuss des berühmten Ewigkeitsgefühls. Logischerweise gefolgt von Todessehnsucht. Man hielt ihm die Augen zu.
    Zwei kühle Hände wollten wissen, wie er lieber sterben möchte. Im vollen Bewusstsein oder ohne darum zu wissen? Dieser Dummbold wollte es wissen. Er verschaffte sich wieder Sicht, behielt jedoch die Hände in den seinen und knotete sie sich um den Hals, oder vielmehr die Arme, schmale Arme, die gut zu den kühlen Händen in seinen Händen passten, er zog an den Armen und fühlte in seinem Rücken ihre Brust, dann hörte er ihre Stimme.
    Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, sagte Debbie. Ach ja? Simon zog im Sitzen Schuhe und Socken aus und krempelte die Hosenbeine hoch. Uns geht’s gut, dachte er, es tut gut. Debbie sagte: Das hab ich Ihnen mitgebracht.
    Simon wandte sich um. Sie stand hinter ihm. In der einen Hand die offene Tasche, hielt sie ihm mit der anderen das Etui entgegen. Simon saß immer noch und verrenkte sich den Hals, um zu sehen, was Debbie ihm zeigte. Er stand auf: Was ist das? Die Sonne in den Augen. Machen Sie’s auf, sagte Debbie, dann sehen Sie’s.
    Kaum hatte er das Etui, einen Mini-Tenorsaxofonkasten, in der Hand, verlor Simon schon das Interesse daran und sah Debbie an. Ich habe Lust, Sie zu küssen. Sie lachte. Frauen finden dieses kindliche Verkünden von Wünschen immer belustigend. Als sie lachte, sah man ihre kleinen Zähne. Sie war sehr niedlich. Ich habe Simon oft beneidet.
    Das Etui ist mir wurscht, und was drin ist, erst recht, sagte er, nun schon etwas heftiger, was ich will, ist Sie küssen. Er brauchte es ja nur zu tun, statt sie zu fragen. Abgewiesen werden ist immer noch besser als es gar nicht versuchen. Nicht, bevor Sie sich rasiert haben, sagte Debbie. Ach so, sagte Simon.
    Er öffnete das Etui. Ein Rasierapparat also. Nein wirklich, sagte er, Sie sind verrückt, das hätten Sie nicht tun sollen, was soll das denn geben? Und was soll ich überhaupt am Strand mit einem elektrischen Rasierapparat? Er ist batteriebetrieben, sagte Debbie. Aber jetzt haben wir genug herumdiskutiert, rasieren Sie sich, und ich creme mich inzwischen ein.
    Wer Creme sagt, sagt Haut. Wer bräunende Haut sagt, sagt bloße Haut. Wer bloße Haut sagt, sagt abgelegte Kleidungsstücke. Simon, der sich rasierte, wagte nicht hinzusehen. Ich muss Suzanne anrufen, dachte er. Der Rasierer surrte. Rasierte rein gar nichts weg, aber surrte.
    Während er sich über die erste Wange rieb. Er war immer noch bei der ersten Wange. Fragte sich Simon, ob er sich wirklich weiter mit diesem Gerät abmühen sollte, das rein gar nichts wegrasierte. Es wird damit enden, dachte er, dass ich mir die Backe demoliere. Sie hat mir was aus eigenen Beständen untergejubelt, dachte er, das Ding, mit dem sie sich die Beine rasiert. Himmel, wie fürchterlich wäre es mir, wenn ihre Beine pieksten. Aber nicht doch, offensichtlich lässt sie sich epilieren.
    Kurzum: Mach weiter, sagte er sich, feste, denn trotz allem rasierte das Ding wenigstens ein bisschen was weg, wenn man sich Mühe gab: Sagen Sie, sagte er, ohne ihr beim Ausziehen zuzuschauen: Wenn es mir nicht gelingt, mich mit diesem Schrott hier zu rasieren, küssen Sie mich dann trotzdem? Der Geruch der Sonnencreme. Er dachte, jetzt könne er hinschauen.

12.
    Das ärmellose Kleid, in schönem dunklen Blau, lag sorgsam ausgebreitet auf dem ebenmäßigen, tiefgelben Sand. Hübscher Satz. Daneben ein etwas längeres weißes Handtuch, ebenfalls schön glatt auf dem Sand ausgebreitet, und auf dem weißen Handtuch Debbie im schwarzen Badeanzug. Vergiss nicht, Suzanne anzurufen, dachte Simon.
    Übrigens, sagte Debbie, ich habe mich nach den Abfahrtszeiten der Züge erkundigt. Ich auch, sagte

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