Ein Abend im Club
Simon. Er blies über das Scherblatt des Rasierers, legte ihn in das Etui zurück und setzte sich dann neben Debbie. Wollen wir doch mal sehen, ob Sie dieselben Züge haben wie ich, sagte sie, geben Sie mir meine Tasche.
Debbies Französisch hatte einen entzückenden amerikanischen Akzent. An ihre Tasche kam sie, weiß der Himmel warum, nicht heran. Solche Beutel nahm man damals mit ins Schwimmbad. Oben von einer durch goldfarbene Ösen laufenden Kordel verschlossen. Simon reichte ihn ihr.
Debbie wühlte darin herum und fand, was sie aufgeschrieben hatte, sowie ihre Brille, derentwegen ihr Simon ein Alter unterstellte, das man ihr nicht ansah.
Ihr Badeanzug stand ihr wunderbar. Besser noch. Er schien nicht nur für sie, sondern ihr auf den Leib geschneidert zu sein, vielleicht sogar aus ihrer Haut. Da dies jedoch unmöglich ist, musste sie so auf die Welt gekommen sein, im einteiligen schwarzen Badeanzug.
Als sie ihren Schwimmbeutel, dieses kordelverschnürte Chaos, abstellte, konnte Simon sehen, wie sich dabei in der Leistenbeuge und unter der Achsel auf ihrer Haut Falten bildeten. Debbie war wirklich in dem Alter, das man ihr nicht ansah.
Der nächste, sagte sie, fährt um 13.27 Uhr, jetzt ist es zwölf, also haben wir noch ungefähr anderthalb Stunden. Sind Sie sicher?, fragte Simon. Er streckte den Arm aus und suchte in der Jackentasche.
Nein, sagte er, den Zettel in der Hand, Sie irren sich, der nächste fährt nicht um 13.27 Uhr, sondern um 13.21 Uhr; 13.27 Uhr ist die Ankunftszeit des vorherigen, und der ist schon abgefahren.
Debbie kam es auf sechs Minuten nicht an. Sie sagte es ihm. Simon kam es schon darauf an. Sechs Minuten, sagte er, sind wichtig, man kann seinen Zug auch noch knapper verpassen, wenn ich auf Sie hören wollte, würde ich ihn verpassen.
Na und dann?, fragte Debbie. Und dann, und dann, sagte Simon. Wäre das so schlimm? Schlimm, schlimm nicht, sagte Simon, aber. Aber, aber, sagte Debbie. Ja, ja sagte Simon. Ach ja, sagte Debbie. O ja, sagte Simon. Ach ja, wiederholte Debbie. O ja, wiederholte Simon. Und jeder wiederholte es einige Male, Debbie ihr Achja, Simon sein Oja.
Und da dieses »Achja-Oja« einen Swing erkennen ließ, improvisierten sie einen kleinen Blues. Debbie schnippte mit den Fingern, um ihr »Achja« zu akzentuieren, Simon antwortete mit seinem »Oja«. Simon erzählte mir, so hätten sie mindestens 96 Takte lang in B improvisiert. Dann seien sie beide außer Atem in Lachen ausgebrochen.
Weil sie über dasselbe lachten, sahen sie sich an. Weil sie sahen, dass sie über dasselbe lachten, küssten sie sich. Und dann, wirklich, ich bin mir unschlüssig.
Ich bin mir unschlüssig, ob ich wiedergeben soll, was sich danach zutrug. Ob es wirklich unerlässlich ist. Und sage mir andererseits, was mit Sex zu tun hat, ist es nie, unerlässlich. Ich frage mich vor allem, wie ich es tun kann, ohne vulgär zu werden. Simon hat es mir ganz unvulgär erzählt. Sogar diskret, würde ich sagen, mit seiner natürlichen Diskretion, seiner ganz persönlichen Art, diskret zu sein.
Ich würde es gern versuchen. Zumal es der Grund dafür war, dass Simon seinen Zug schon wieder verpasste. Ich sage verpasste, aber nein, er hat ihn nicht verpasst. Diesen Zug hat er ganz einfach nicht nehmen wollen. Und deshalb musste er Suzanne belügen. Und wegen dieser weiteren Lüge ist Suzanne losgefahren, um ihn abzuholen, und dabei ums Leben gekommen.
Als Simon mir diese Liebesszene beschrieb, fand ich es zauberhaft, denn es handelte sich um einen alternden Mann und eine alternde Frau, die eine solche Gefühlsbewegung, von solcher Intensität und Schönheit in ihrer Gewalt, wohl nicht wieder erleben würden.
Kurz, jetzt überlege ich schon seit einer Stunde, wie ich die Sache anpacken soll. Ich mache es, wie ich es meistens tue, wenn ich in Verlegenheit bin, ich fange an, nicht am Anfang oder am Schluss, sondern am ersten sich bietenden Ende.
Simon hatte es sich in den Kopf gesetzt, seine Hose im Meer zu waschen. Es war übrigens wieder Flut. Das Labyrinth der algenbewachsenen Felsen verschwand unter einer Wasserschicht.
Aber warum zum Teufel wolltest du deine Hose im Meer waschen?, fragte ich ihn. Simon sagte: Weil ich mich schmutzig gemacht hatte. Wie, schmutzig?, fragte ich. Seit wann wird man davon schmutzig? Simon sagte: Ich hatte mich nicht ausgezogen, keine Zeit, zu eilig, zu drängend, zu brennend, was weiß ich, zu unerwartet, zu überraschend, kein bisschen vorhergeplant, und dann die
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