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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Zeitmesser, aber, wie wir bald sehen werden, für humaneren Gebrauch. Über das Wohlwollen hinaus, das ich ihr entgegenbrachte, begann ich mich näher mit ihr zu beschäftigen, als ich vor nicht allzu langer Zeit der Revision meines Buches über den Arbeiter mich zuwandte. In dessen Umkreis webt freilich keine Sanduhrstimmung, alles wird meßbar, teilbar, anschneidbar in kleinsten und kürzesten Spannen, wird ohne Gnade in das Blitzlicht des Bewußtseins gerückt. Schon längst genügt auch die Genauigkeit der mechanischen Uhren, der besten Chronometer hier nicht mehr. Was haben also die Sanduhren mit uns zu tun?
    Einiges doch. Wer ganz in dieser stolzen Titanenwelt lebt, in ihrem Genusse, ihren Rhythmen und Gefahren, kann Großes in ihr erreichen, aber er kann sie nicht beurteilen. Es wird ihm im besten Falle wie Napoleon gehen, der eine Welt erobern konnte und doch so blind hinsichtlich seiner eigenen Person und Lage war. Tolstoi streift diese Lage in seinem Vorwort zu »Krieg und Frieden«, indem er sagt, daß den großen Tätern vielleicht am wenigsten Freiheit gegeben sei. Je mehr man in seiner Zeit ist und in ihr lebt, desto mehr unterliegt man ihrem Vorurteil. Nun aber ist die Zeit als solche das größte Vorurteil; das ist ein altes Thema der Philosophie. Neueren Datums ist die Einsicht, daß dieses Vorurteil nicht immer gleich bleibt, daß es in seinen Formen wechselt und seine Moden hat.
    In diesem Sinne ist die Sanduhr ein guter Stützpunkt für die Kritik der Urteilskraft, ein ruhender, vorkopernikanischer Einschluß in unserer kreisenden Welt. Das gilt um so mehr, als wir an einer Marke stehen, welche die kopernikanische von einer neuen Zeit- und Raumauffassung trennt.
    Aber es ist nicht ihre exzentrische Rolle allein, die uns zu dieser Betrachtung anreizt, sondern auch eine gegenwärtige Bedeutung, die aus der Verschüttung zu heben ist. Sanduhrzeit lebt in uns allen, nicht nur in Kinder-, Garten- und Ferientagen, sondern tief auf dem Wesensgrund. Sie ist etwas anderes als die Zeit der mechanischen Uhren, etwas anderes aber auch als Sonnenzeit. Vielleicht lohnt es die Mühe, sie darzustellen, so wie man aus dem Schutt kaum noch befahrener Stollen ein seltenes Gestein gewinnt. Es mag in sonderbaren Kristallen blinken, vielleicht gar Heilkraft bergen oder auch nur den Sinn für Kuriosität befriedigen. Wir werden sehen.
    Das waren Gedanken, wie sie mir allmählich kamen, als ich mich mit dem Gegenstand befreundete und Nachrichten darüber einzuziehen begann. Er ist von einer Art, die mehr auf Zufallsfunde anweist als auf gelehrte Studien und die vor allem der Mithilfe bedarf. Ein ausgedehnter Briefwechsel, wie ihn der Autor heute meist zu führen hat, bringt nicht nur Lasten, sondern hat auch seine Lichtseiten. Sanduhrnachrichten begannen einzuträufeln, für die ich auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank sage, und bald ergab sich eine gewisse Kenntnis und Übersicht. Ich mußte freilich in ähnlichen Fällen erfahren, daß die Veröffentlichung wie ein Magnet wirkt, der noch viel Ungehobenes anzieht; doch dafür gibt es Nachträge.
    Es liegt in der Natur des Themas, daß es zu Abschweifungen reizt. Daher wollen wir ihnen nicht ausweichen. Sie gehen einmal ins Allgemeine, zur Betrachtung von Zeit und Zeitmessung. Sie gehen sodann in das Besondere, in die Sanduhrquisquilien. Das hängt damit zusammen, daß es meist verstaubte und entlegene Folianten sind, in welche die Jagd führt, zum Ärger der Treiber, das heißt, der Bibliothekare, die sich vom Asthma bedroht fühlen. Dabei stößt man auf apokryphe Stellen, die, wenn nicht »gut und nützlich«, so doch recht amüsant zu lesen sind und die man ungern unterschlägt. Wenn man sich über Uhren unterhalten will, muß man Zeit haben. Aber man soll sich nicht langweilen.
    Wir sagen: »Jedes Ding hat seine Zeit.« Aber auch jeder Ort und jeder Mensch hat seine Zeit. Es ist ferner bekannt, daß wir keine Zeit haben. Das soll heißen, daß wir keine überflüssige Zeit haben, denn der eine hat mehr, der andere weniger Zeit. In der Epoche der Sanduhren hatte man mehr Zeit als heute, wo man von Uhren umzingelt ist. Auch stecken wir tiefer in unseren zeitlichen als in unseren räumlichen Grenzen, wenngleich die Fesseln weniger sichtbar sind.
    Das alles deutet darauf hin, daß das Wort »Zeit« die verschiedensten Bedeutungen besitzt. Aber es handelt sich nicht nur um Wortbedeutungen, sondern um Schichten, die uns umlagern und auch durchdringen wie ein

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