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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Land der roten Arbeitserde bei Neapel, zu den fruchtbaren Buchten und Küstenstreifen, wo wir den Menschen seit den ersten Zeiten vermuten dürfen, in denen er Ackerbau trieb. Schon Hesiod und Homer kannten sie als altbesiedeltes Land, und Hesiod rühmt ihre Fruchtbarkeit, ebenso der ältere Cato, der übrigens zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Statthalter in Sardinien war. Damals befand sich die Insel erst seit kurzem in römischer Hand. Die Wirtschaft war einfacher, die Zahl der angebauten Gewächse geringer als heut. Unter ihnen fehlten auch solche, die für uns zum Charakter der Landschaft zählen, wie die Opuntie, zwischen deren mächtigen graugrünen Hecken sich der Wanderer oft für Stunden gefangen sieht. Sie kam mit der Agave, dem Mais, dem Tabak, der Kartoffel, der Tomate erst nach der Entdeckung Amerikas. Andere folgten der Befahrung des Seeweges nach Ostindien, und wiederum andere, wie die Kirsche, sind schon von den späteren Römern aus Kleinasien gebracht worden. Uns fällt es schwer, zu glauben, daß die Aloe und all die Zitrusarten, die als »Agrumen« gezogen werden, nicht seit jeher den Süden geziert, nicht immer in der Vereinzelung das Profil der Klippen betont oder in ihrer Masse die fruchtbare Ebene begrünt haben. Dennoch gehören sie zum flüchtigen Schmuck der Erde und wirken an einem ihrer Kleider, wie sie deren schon viele getragen hat und viele noch tragen wird. Sie fliehen dahin wie Mignons Lied, das sie besingt.
    In Stunden, in denen wir dieses Wandels innewerden, fragen wir uns, was denn am schönen Bilde unsrer Erde bestehen mag. Wo tausend Jahre wie ein Tag sind, welken nicht nur die Bäume, nicht nur die Wälder wie Gras dahin. Es schwindet auch ihre Eigenart. Inseln versinken, und andere tauchen auf.
    Der ältere Cato, der den Begriff des Erzkonservativen verkörpert, kannte nicht die Zitrone, die die Araber, und nicht die Apfelsine, die die Portugiesen einführten. Er kannte auch noch nicht die Kirsche, die hundert Jahre nach ihm Lucullus mitbrachte. Cato rühmte die süße Eichel, die Zwiebel, den Knoblauch, die grobe Bohne: die einfachen und kräftigen Gerichte, die schon den Vorvätern geschmeckt hatten. Er mochte wohl annehmen, daß mit dem Menschen zugleich das ihm Zukommende dem Boden entsprossen sei und jede Neuerung vom Rechten, vom Sinn der Erde abweiche. Aber auch das Alte war einmal neu, und das Neue wird einmal alt werden. Es muß etwas anderes sein, das uns bewegt, die Dinge ihres Alters wegen zu verehren, etwas anderes als zeitliche Hortung, als Lebenshumus und angereicherte Substanz. Das ist schon daraus zu schließen, daß die Gegenstände der Verehrung wechseln, während die Verehrung bleibt. Die Treue wohnt im Herzen, nicht in der Welt.
    Die alten Dinge fallen in den Spiegel des »semper idem«, der Identität. Dort gibt es Sicherheit. Doch diese Identität kann immer nur im Spiegel, kann nur im Gleichnis geschaut werden. Sie wohnt nicht in der Zeit. Wir werden nicht müde, sie zu suchen, wie oft wir auch durch die Erfahrung enttäuscht werden. Das Große ist unsere Zuversicht.
    Beginnen wir beim Anblick der alten Dinge an der Identität zu zweifeln, so liegt der Gedanke nahe, sie im Augenblick zu suchen, in der Sekunde und ihrer Lust. Aus ihr errichtet sich der phantasmagorische Palast der Zeit. Durch ihre Kapillaren sickern die Jahrtausende. In unserem Leben suchen wir bald diese, bald jene Perspektive auf. Wir bleiben immer in den Vorhöfen.
    In einer fremden Stadt zieht es mich zunächst zu den Märkten, dann zu den Friedhöfen. Oft liegen beide nah beisammen; das gilt besonders für die Gottesäcker auf alt geweihtem Grund. Es ist kein Zufall, daß es in so vielen Städten eine Marktkirche gibt. Der Marktfriedhof gehörte dazu.
    Gräber umringen San Saturnino, die älteste Kirche von Cagliari, ein byzantinisches Juwel. Gräber sind in die von den Pisanern erbaute Kathedrale eingesenkt. Auf Marmortafeln entziffert das Auge im Halbdunkel unter Krummstäben und Kardinalshüten die Namen verschollener Bischöfe. Marmorhäupter ruhen auf marmornen Kopfkissen.
    Der Vorplatz ist mit buntem Granit getäfelt; jedesmal, wenn ich die Platten beschreite, denke ich an meinen Gastfreund Valentino, der sie mit seinem Bruder Mario vor fünfzig Jahren behauen und aneinandergefügt hat. Beide sind sehr erfahren in der Behandlung des Granits, den sie bis in die Faser kennen; sie haben nicht nur als Werkleute und Meister, sondern auch als Künstler an ihm

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