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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Labyrinth. Wenn uns bei einer Zeitbetrachtung dieser ihr labyrinthischer Charakter aufgeht, ist bereits viel gewonnen, denn das Rätsel der Zeit wird niemand auflösen. Doch ihre Mannigfaltigkeit schafft Spiegel, in denen auch das, was wir »unsere« Zeit nennen, deutlicher und damit deutbarer werden kann.

HERBST AUF SARDINIEN, 1965
    Der Herbst ist am Mittelmeer eine schöne Zeit. Vor allem der September bringt eine Folge von goldenen Tagen, die oft bis tief in den Oktober, bis zu den ersten Regengüssen, andauern. Die Wärme ist nicht mehr ermattend wie im Hochsommer, doch hat die Sonne noch gute, strahlende Kraft. Das Meer wird mit jedem Tage erfrischender. In den Nächten genügt noch ein Leintuch als Decke, aber der Schlaf wird ruhiger als im August, da zuweilen selbst der Südländer nach Luft ringt, besonders wenn der sengende Wind von der afrikanischen Küste weht. Wenn man des Abends ein Feuer entzündet, sei es aus Reb- oder Mandelbaumzweigen, sei es aus dem duftenden Holz des Erdbeerbaumes, mit dem die Backöfen geheizt werden, so geschieht das mehr der Geselligkeit wegen, als daß danach ein Bedürfnis bestünde: es plaudert sich gut am Kamin.
    Wie überall in unseren Breiten sind Lese und Ernte in vollem Gange; die Jagd geht auf. Das Meer spendet seinen Überfluß wie zu jeder anderen Zeit. Das kommt der Küche zugut. Es ist aber nicht nur der Überfluß der Feld- und Meeresfrüchte, welcher der mediterranen Küche ihren Reiz verleiht. Man merkt auch hier, daß die Sonne kräftiger strahlt, daß sie die Säfte stärker einkocht und mit einem farbigen Geschmack begabt. Dazu kommt die Vorliebe für das starke, lebhafte Gewürz. Sie erstreckt sich auch auf die Weine – nicht nur dort, wo sie wie an den Küsten des östlichen Mittelmeers geharzt, sondern auch dort, wo sie wie in Sizilien und Sardinien mit Fenchel und anderen Kräutern gebeizt werden. Die Sitte reicht in eine graue Vergangenheit zurück. Sie wäre nicht auf die erlesenen Weine anzuwenden, die man am Rhein und an der Rhône zieht. Dafür weiß man im Süden bis zum Hirten und bis zum Contadino, welche Ansprüche an den Tischwein zu stellen sind. Er gehört zum täglichen Brot, und man fährt von der Lombardei bis nach Kalabrien durch das Land wie durch einen Weingarten. Seit altersher besteht ein unbefangenes, natürliches Verhältnis zum Wein und seiner Kraft.
    Ähnliches läßt sich der italienischen Küche überhaupt nachrühmen. In ihr herrscht ein Sinn für die natürliche Zurichtung. Sie verfährt ungekünstelt und läßt die Grundstoffe schmecken, ohne sie zu verhüllen, vor allem das Öl und das Mehl, denen sie große Sorgfalt zuwendet. Der Fremde gewöhnt sich bald an die guten, kräftigen Gerichte, die mit der Sonne, dem Meer, dem Duft der Macchia übereinstimmen, mit der Palette, die das Klima ausbreitet. Nach der Rückkehr in den Norden vermißt er sie noch eine Weile; er hat den Eindruck, daß dem Gaumen, wie überhaupt dem Reich der Sinne, eine farblosere Kost geboten wird.
    Leider ist der seit alten Zeiten berühmte Markt von Cagliari verschwunden; er zeigte in gedrängter Fülle, was die Insel zu bieten hat. Sein Leben war schon von weitem zu hören wie das Summen eines großen Bienenstockes, wenn man die Via Roma hinaufschritt, die vom Meer zur befestigten Oberstadt führt. Nun mußte er einem der Bankpaläste weichen, und sein reicher Zustrom hat sich in die verschiedenen Viertel verzweigt. Einen dieser Tochtermärkte durchquert man, wenn man die Via Roma verlassen hat, um zum Elefantenturm emporzusteigen, doch gibt er nur eine Ahnung der alten Pracht. Zu ihr vereinten sich wie in einem Becken die drei großen Quellen des natürlichen Reichtums: aus dem üppigen Schwemmland, dem Gebirge und dem Meer.
    Die Hauptstadt Sardiniens ist in das Fruchtland einer heißen Tiefebene eingebettet: den Campidano di Cagliari. Man überblickt ihn bis zu den Küsten und den fernen Bergen, wenn man auf der Plattform des Elefantenturms steht. Nahe der Küste wird die Fläche gegittert von schwelenden Salzgärten; sie zittert im glasigen Licht.
    Hier löst seit römischen und vorrömischen Zeiten eine Ernte die andere ab. Die Beete sind reich bestellt und tragen auch im Schatten der Mandelbäume Frucht: Puffbohnen und grüne Erbsen im frühen Jahre, in dem bei uns oft noch der Schnee die Felder deckt. Opuntienhecken schirmen den Anbau gegen den kalten wie gegen den heißen Wind. Der Campidano zählt, wie die Goldene Muschel von Palermo oder das

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