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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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über achttausend Skeletten oder vielmehr Mumien. Der Raum erhielt durch Fenster Oberlicht; die Toten lagen in offenen Särgen, lehnten an den Wänden oder waren gleich der Beute eines grimmigen Jägers an den Mauern aufgeknüpft, darunter eine ganze Mönchskongregation. Die Kutten waren ausgestopft, und die Verschiedenartigkeit der Kappen verriet den Rang, der diese Väter und Brüder zu Lebzeiten geziert hatte. Man sah Greise und Kinder, Männer mit weißen, grauen, schwarzen und roten Bärten, Frauen in Atlaskleidern, die ihre Photographien auf der Brust trugen. Die Leichen werden ein Jahr im heißen Dünensand mumifiziert, dann ausgestellt. Man kann also verstorbene Verwandte von Angesicht zu Angesicht aufsuchen.
    Mondello, 30. April 1929
    Nach dem gewohnten Gang am Fuße des Monte Gallo ruhte ich bei starker Hitze im Garten aus. An Tieren beobachtete ich dabei, im Korbstuhl liegend, große stahlblaue Hummeln, die die Akazienblüten besuchten und das Spalier des alten Weinstocks anflogen, aus dessen dunklem Holze jetzt das Grün in schweren Sprossen bricht. Heuschrecken, die wie aus Papier geschnittene Vögel schwirrten, fielen in den Garten ein. Um eine hohe Malve kreiste eine Traube winziger Buprestiden: bei tief erzblauem Körper leuchteten Kopf und Halsschild rot feuergolden auf. Die Tierchen hatten die breiten Blätter der Pflanze ausgenagt wie eine batistene Stickerei. Unweit davon in einer Mauerlücke sonnte sich der Skink, ein braunes Eidechslein, das, obwohl es Füße trägt, sich schlängelnd fortbewegt. Doch ist es in seiner Gestik unbeholfener als die Schlangen und selbst die Schleichen; es führt die Windung, statt sie in Wellen zu unterteilen, mit dem ganzen Körper aus. Die Pfoten hängen ihm dabei am Leibe wie uns die Fausthandschuhe, wenn warmes Wetter ist. Dies alles nahm ich lässig wahr, in angenehmer Erschlaffung, während der Duft wohlriechender Geranien und dichter Rabatten von Zitronenmelisse aus den Beeten stieg.
    Am Abend aßen wir Gamberi, eine rot und weiß gestreifte Garnele, deren schwarze Augen und fadendünne Extremitäten verraten, daß sie in großer Tiefe lebt. In Meerwasser und mit Zitronenschnitten gesotten, schmecken sie zart und süß. Ihr Panzer ist so fein, daß man sie, ohne sie auszukernen, in Mehl und Butter braten kann.
    Mondello, 1. Mai 1929
    Mit Perpetua in Palermo, wo wir mit dem Buchhändler Mauksch und einigen Professoren im »Bologna« frühstückten. Ich stieg noch einmal zu den Cappuccini hinab; ihre Gruft gehört zu den merkwürdigen Dingen, die ich im Leben sah. Diese Versammlung von Toten ist einzigartig; man kann sie weder mit den alten Beinhäusern vergleichen noch mit den Katakomben, wie denen von Paris und Rom.
    Mondello, 3. Mai 1929
    Noch einmal durchirrte ich die Hänge des Monte Gallo und ritzte mit dem Nagel das Datum dieses Tages in die saftigen Blätter der Opuntie ein. Am Abend hatte ich mit Schmidt eine große Unterhaltung über den Krieg. Er bezeichnete ihn als Feind alles Menschlichen. Auch die schönste Landschaft würde durch seine Symbole verdüstert wie hier die Küste über dem blauen Meer durch die zum Schutze gegen die sarazenischen Seeräuber errichteten Wachttürme. In diesem speziellen Punkte konnte ich ihm nicht beistimmen – die über alle Winkel des Mittelmeeres verstreuten Ausluge übten immer eine geheime Anziehung auf mich aus.
    Mondello, 5. Mai 1929
    Bei Boscos, zum Abschiedsmahl. Mit dem ersten Zutrunk entfaltete sich die explosive Heiterkeit des Südländers, die in grellem Gegensatz zu seiner sonstigen Verschlossenheit dem Fremden gegenüber steht. Wir tranken einen moussierenden Rotwein und hatten als Hauptgang Pasta con sarde, das palermitanische Nationalgericht. Da seine Zubereitung große Sorgfalt erfordert, genießt man es am besten im Familienkreis.
    Im Garten, in dem signora Bosco an einem offenen Herd kocht, hatte ich ihr ein wenig zugesehen und das umständliche Rezept notiert. Es läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß eine besondere Sorte von Makkaroni mit zwei verschiedenen Saucen und einer großen Menge von Sardinen zu einer Einheit verbunden wird. Die eine dieser Saucen wird aus einem Sud von Fenchel entwickelt, der aber keineswegs in den Gärten, sondern als Wildkraut im Gebirge geerntet werden soll. Dann spielen noch eine besondere Rolle in Öl gesottene Schalotten, im Wasserbade zu einer Creme gekochte Sardinen, Rosinen, Pinienkerne und Safran, soviel man mit drei Fingern faßt und der zuvor am Feuer

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