Ein abenteuerliches Herz
Eidechsen, die sich auf dem Stein sonnten. Das waren Mittagsstunden, die viel Trübes aufwogen. Die Alte Mutter war im Festkleid, trat etwas näher und heimlicher heran.
Auch hier an den Rändern werden die Reiter immer seltener. Selbst Valentino hat sein Pferdchen abgeschafft, ohne das er vor kurzem noch kaum zu denken war.
Obwohl schon über sechzig und Invalide des Ersten Weltkriegs – Gewehrschuß in Mazedonien – rückte Valentino beritten zu Beginn des Zweiten als Freiwilliger ein. Er zog drei Jahre lang, halb marodierend, im Land umher und besorgte Proviant für eine Offiziersmesse. Wenn es ihm paßte, ging er auf Urlaub, um zu jagen; er läßt keine Gelegenheit dazu aus. Selbst als er vor 1914 in Assuan am Staudamm arbeitete, kam er allherbstlich herüber, wenn die Jagd aufging. Er verdiente damals ein Goldpfund am Tag; damit konnte er in Sardinien als großer Herr leben. Wie man sich »debrouilliert«, schnell und gewandt eine Lage erfaßt, um mit List und, wenn es sein muß, auch mutig, ihr die beste Seite abzugewinnen – das kann man von ihm lernen.
So, lässig im Sattel, die Flinte auf dem Rücken, von zwei, drei Hunden umspielt, sah ich ihn oft kommen, wenn wir uns am Strande zum Fischen verabredet hatten oder in der Macchia zur Jagd. Jeden Winkel hier kennend und weithin gekannt, bot er noch das Bild des Sarden aus der guten alten Zeit.
Heut stehen immer zwei, drei Autos im cortile, die den Söhnen gehören; der Schwiegersohn hat einen kleinen Lastwagen, die Töchter haben fahren gelernt. Innerhalb der zehn Jahre, während deren ich hier entweder im Frühling oder im Herbst jeweils einige Wochen verbracht habe, erlitt der Ort eine Veränderung, die bei uns ein Jahrhundert in Anspruch genommen hat. Daß die Technik Weltsprache ist, erweist sich, mehr noch als durch ihre Ausbreitung, durch die Geschwindigkeit, mit der sie erlernt werden kann.
Eins der wiederkehrenden Bilder ist das des verlorenen Paradieses: wir finden die heimische Stätte verwüstet, den Garten zerstört. Hier hat ein reicher Mann das Strandstück ummauert, an dem wir gebadet haben; an einem anderen unserer Lieblingsplätze steht jetzt ein Luxushotel. Um es mit Wasser und Strom zu versorgen, hat man das Flüßchen gestaut, dessen Bett nun vertrocknet ist. Damit fehlen Weide und Tränke für die Herden; die Hirten, an deren Feuer wir saßen, sind unten Kellner und Fahrer geworden oder gehen in die Fremde als Arbeiter. Obwohl viel weniger heiter, scheinen sie sich doch wohler zu fühlen, denn sie teilen nicht unser Heimweh nach den Zeiten, in denen das elektrische Licht fehlte.
Wenn in den ersten Septembertagen die Jagd aufgeht, durchstreifen nicht nur die Sarden, sondern auch Scharen von Kontinentalen das Revier. Die landenden Schiffe sind mit Jägern und Hunden überfüllt Die Insel gilt seit altersher als wildreich und ist es noch heute in den Gebirgen und den geschützten Wäldern, in denen man den Hirsch, den Steinbock und das Mufflon trifft. Im bestellten Land ist das Wildschwein das einzige größere Tier, das zuweilen erlegt wird, wenn es sich in den Äckern und Weinbergen gütlich tut. Häufig ist das wilde Kaninchen, und man begegnet Jägern, deren Leibgurt rundum mit dieser im Fell schlotternden Beute behangen ist.
Die Hauptjagd gilt dem Flugwild, und wenn man es in der Macchia und den Mandelhainen oder an den Hecken und den Schilfgürteln rings um die Wasserstellen knallen hört, kann man wetten, daß auf Vögel geschossen wird. Begehrt ist vor allem das Felsenhuhn, das als Standwild europäischen Boden nur bei Gibraltar und auf Sardinien besetzt. Man sieht es beim Durchstreifen der heißen Hänge zu zweit oder dritt aufschwirren und nach kurzem, niedrigem Flug in Deckung gehen. Es muß daher mit Hunden gejagt werden. Der Vogel ist schwerer und bunter als unser Rebhuhn, auch wohlschmeckender. Er trägt einen roten Kragen, den ein Kollier von weißen Flecken säumt. Valentinos Hausfrau begrüßt ihn in ihrer Küche und kündet ihn an, bevor wir zum Strand gehen. Sie pflegt ihn zu halbieren, um die eine Hälfte am Spieß zu rösten, während die andere mit Rosmarin und Wacholder gedünstet wird. Zum Nachtisch gibt es dann Feigen, die aufgeschnitten und während des Vormittags in der Sonne getrocknet worden sind. Nachdem wir sie mit einer Mandel gespickt haben, schließen wir die Frucht wie eine Muschel wieder zu.
Wie überall auf den Inseln und Halbinseln des südlichen Europa, wimmelt es auch auf Sardinien im Herbst
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