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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Diskussionen um die »Innere Emigration« – Jünger aber wollte sich weder zur »Inneren Emigration« noch auch zum Widerstand rechnen lassen. Im Fokus dieser Diskussionen stand häufig die Erzählung »Auf den Marmor-Klippen«, die bald nach ihrem Erscheinen 1939 Aufsehen erregte und wie eine Widerstandsschrift gelesen wurde. Ich ließ mich damals einfangen von ihrem ersten Satz: »Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift.« Gepackt hat mich dann aber vor allem die Beschreibung der Schädelstätte Köppelsbleek, in deren eindrucksvoll imaginiertem Grauen die entsetzlichen Verbrechen in den Lagern schon erahnt schienen.
    Jünger erzählte mir, »Auf den Marmor-Klippen« sei nach einem Traum entstanden, »nach einem großen Umtrunk« mit Freunden in Überlingen, »die Geschichte schoß mir ein in einem Traum. Ich habe 1939 in einer Nacht die ganze Geschichte gesehen und erlebt (…), in nuce gesehen in ihrer dämonischen unausweichlichen Wirklichkeit. Deshalb rechne ich ein solches Buch nicht zur Literatur, das ist etwas ganz anderes, und die literarische Wertung kann nur eine Oberfläche davon streifen. (…) Daran habe ich dann gearbeitet bis zum Ausbruch des Krieges. Korrekturen habe ich noch in Uniform gelesen.« Gelesen wurde das Buch gleich bei Erscheinen als Metapher auf den Nationalsozialismus: »Mir war das gar nicht so sehr angenehm. Als ich an den Westwall das Telegramm von meinem Verleger Ziegler bekam, daß gleich 17 000 Exemplare von ihm verlangt wurden und daß er [mit dem Druck] nicht nachkam, daß überall Leute zusammenstanden und sich darüber unterhielten, daß die Buchhändler sagten: Was ist denn das, fortwährend kommen Leute und verlangen dieses Buch, das wir gar nicht kennen – das war mir gar nicht sehr angenehm. Es passierte ja auch sogleich allerhand. Der Reichsleiter Bouhler beschwerte sich bei Hitler, der lehnte die Beschwerde aber ab. Auch Goebbels äußerte sich sehr unangenehm berührt darüber gegenüber [Bruno E.] Werner, dem Herausgeber der ›neuen linie‹, der hat mir davon berichtet. Das Buch wurde nicht verboten, es hätte aber die späteren Auflagen nicht erreicht, wenn die Armee nicht fortwährend, etwa in Paris und anderen Ländern im Osten, neue Auflagen gedruckt hätte. Eine Auflage von 20 000 Exemplaren wurde von einer französischen Druckerei in Paris gedruckt und in Pariser Frontbuchhandlungen verkauft. (…) Selbstverständlich hatte das Buch einen genauen Zeitbezug. Es ist aber, wie in Träumen, sowohl zeitlich bezogen als auch überzeitlich. Es trifft eine tiefere Schicht als die des politischen Geschehens. Daß die Sache brenzlig war, habe ich sofort gewußt. Als ich es meinem Bruder Friedrich Georg zeigte, da sagte er mir noch: Na, dieses Buch verbieten sie dir entweder sofort – aber wenn es sechs Wochen erschienen ist, dann werden sie es nicht mehr verbieten. Daß um den Kopf gespielt wurde, daran war kein Zweifel. Aber ich möchte da heute keinen Vorteil von haben – das Wort Widerstand kann ich überhaupt nicht mehr hören. Seitdem ich gesehen habe, wo überall Widerstand und von wem alles er getrieben wurde, da möchte man doch lieber nichts damit zu tun haben.«
    Diese Haltung imponierte mir. Jünger hat sich nie vereinnahmen lassen – weder damals von den Nationalsozialisten noch nachher von denen, die sich auf ihre angebliche ›innere‹ Emigration beriefen und ihn gern zu ihrem Paradepferd gemacht hätten. Sein freilich manchmal bis zum Starrsinn ausgebildeter Stolz und sein Beharren auf Unabhängigkeit gründeten sehr entschieden auf ihm selbst.
    Dem verdankt sich aber auch manche Sottise über die aktuelle politische Lage. Wenn man ihn über sein Verhältnis zur gegenwärtigen Demokratie befragte, war eines seiner Standardargumente sein Vergleich der nun praktizierten Demokratie mit der antiken griechischen Demokratie: Ja, wenn unsere Demokratie so funktioniere wie die griechische, dann wäre er auch ein Anhänger der Demokratie! Besonders ein Satz, den er auf einem der Spaziergänge sagte, ist mir in Erinnerung geblieben. »Tatsachen sind für mich zweitrangig.« Das war eben der alte Dichter-Seher, der Autor als Wirklichkeit schaffende auctoritas: Nigromontan! Es sprach aus diesen Unterhaltungen, besser: Erzählungen Jüngers eine merkwürdige Mischung aus Stolz auf jungenhafte Streiche, Trotz und bewusster Naivität – dies mit désinvolture zu verwechseln kam mir nicht in den Sinn.

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