Ein abenteuerliches Herz
Aber wie naiv war ich damals!
VI. Ärger mit dem Sekretär
Über seine einsamen oder manchmal von dem Freund Martin v. Katte begleiteten Gänge erzählte er gern in seinen Briefen an mich, vor allem in der kurzen Zeit des »Interregnums«, als er zwischen dem Tod seiner Frau Gretha am 20. November 1960 und seiner Heirat mit Liselotte Lohrer im Frühjahr 1962 allein in der Oberförsterei lebte. Damals wechselten wir manchmal täglich, jedenfalls mehrmals wöchentlich Briefe. Und besonders intensiv, als es Ärger gab mit Armin Mohler, seinem ersten Sekretär.
Mohler, Anfang der 1950er vier Jahre lang fest angestellter Sekretär Jüngers, hatte sich inzwischen zu einem Kritiker Jüngers gewandelt, weil der erzkonservative Mohler es ihm verübelte, dass er sich mit dem demokratischen System der Bundesrepublik versöhnt und von ihrem Präsidenten Theodor Heuss sogar das Bundesverdienstkreuz angenommen habe. Mohler hatte am 29. Dezember 1961 in der Wochenzeitung »Christ und Welt« innerhalb einer Serie mit Porträts bedeutender Persönlichkeiten einen Artikel über Jünger veröffentlicht, in dem er ihm auch wieder diese Haltung vorhielt und schrieb, Jüngers Werk sei keine Einheit, wie dieser selbst immer behaupte, sondern es sei polar, die Wende sei mit der großen Erzählung »Auf den Marmor-Klippen« eingeleitet worden. Mohler anerkannte noch Jüngers Schrift »Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt«, »Blätter und Steine« und die beiden Fassungen von »Das Abenteuerliche Herz« von 1929 und 1938, alles danach nannte er in dem Artikel »verschwommen und epigon«; und er warf ihm vor, seine »Frühschriften jetzt ad usum democratorum (zu) frisieren«.
Jünger schrieb mir daraufhin am 31. Dezember 1961 aus Überlingen, wo er Silvester mit Freunden bei seinem Bruder Friedrich Georg und dessen Frau Zita verbrachte: »Am Vormittag rief mich F. v. H. an und sagte, daß er in ›Christ und Welt‹ einen Aufsatz von Mohler gelesen habe, der sich mit mir beschäftige. H. meine, es wären ›illoyale‹ Stellen drin, auch sei es eine einseitige Betrachtung der politischen Person, ohne die musischen und anderen Fakultäten. Ich wills also garnicht lesen. Wenn Sie sich die Arbeit ansehen und Grund zur Beschäftigung damit finden, können Sie das als ›Secretarius‹ tun; es ist mir recht. Ich finde, daß ein Mann, der vier Jahre lang mit mir am Tisch gesessen und viel Vertrauliches gehört hat, besonders delikat verfahren müßte. (…) PS : Wenn Sie etwas schreiben, wäre es natürlich am besten in ›Christ und Welt‹.«
So wurde der Secretarius in Stellung gebracht, und ich ließ mich durchaus gern in Stellung bringen. Denn Jünger war damals für mich gleichsam sakrosankt. Ich verehrte ihn. An meinem kleinen Horizont war er der Fixstern. Das relativierte sich mit der Zeit, ja bald schon, als dieser Horizont sich weitete, meine literarischen Kenntnisse wuchsen, meine Erfahrungen in und von der Welt zunahmen. Jünger ist durchaus eine Vaterfigur für mich gewesen – ein geistiger Vater, den ich mir, im Gegensatz zum streng autoritären biologischen Vater, selbst gewählt hatte. Daheim fühlt ich mich in jeder Hinsicht beengt, abhängig, unfrei – in Wilflingen erlebte ich an Ernst Jünger das Vorbild eines unabhängigen Lebens, das Leben eines freien Menschen, einer, damals durchaus pathetisch so empfundenen: freien geistigen Existenz. Diese Existenz beeindruckte mich, so wollte auch ich einmal leben, frei und unabhängig, selbstbestimmt – und diese Bewunderung für Ernst Jünger habe ich auch nie verloren, im Grunde war sie der Impuls für mich, die Literatur zu meinem Leben zu machen und dieses Leben als ein freies, also auch freiberufliches zu wagen. Hingegen differenzierte sich mit der Zeit mein Urteil gegenüber Jüngers Werk immer mehr aus, es wurde kritisch, kritischer – hat sich allerdings mit der Zeit wieder etwas gemildert: Die Texte, die dieses Buch hier versammelt, gehören zu jener Essenz des Jüngerschen Werks, die mir noch immer, oder wieder, wichtig ist: Es ist das Werk eines »abenteuerlichen Herzens«, das Jünger immer besessen hat.
Zwanzig Jahre nach meiner kurzen Wilflinger Zeit, zu seinem 85. Geburtstag schrieb ich Jünger im »Merkur« einen langen Abschieds- und Geburtstagsbrief, in dem ich mich für meine Wilflinger Lehrjahre bedankte, die für mein Leben und meine Entwicklung so wichtig gewesen waren. Aber, fügte ich an: »Ich habe den Zug verlassen, in dem ich zuerst in Ihrem Abteil,
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