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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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ja auch der Einwand, den die Goldmacher fürchten: Was treibt euch, mit euren Künsten zu hausieren, anstatt gemütlich im stillen Kämmerchen Dukaten zu schlagen nach Herzenslust?«
    Er schwieg ein Weilchen und blickte mich lächelnd an. Dann fügte er hinzu:
    »Sie sind zu klug – Sie kennen nicht die Kräfte der Sympathie. Wie denn, wenn mir bei Ihrem Anblick ganz einfach der Gedanke gekommen wäre, daß Ihnen geholfen werden muß? Doch lassen wir das beiseite, es gibt auch Möglichkeiten, die Sie nicht übersehen. So könnte es Operationen geben, zu denen gerade Ihr Beistand unentbehrlich ist. Was trieb den Mauretanier, sich gerade an Aladin zu wenden, als es die Lampe zu bergen galt? Ich wiederhole, daß ich Sie ein Wissen lehren will, mit dem man stets gewinnt. Doch ist hier kaum der Ort dazu.«
    Er blickte sich um und fragte spöttisch:
    »Ich halte Sie doch nicht von Geschäften ab?«
    Der Lump – er wußte sicher, daß meine einzige Sorge nur noch darin, mir einen Strick zu suchen, lag. Daher beeilte ich mich zu sagen:
    »Ich bin nicht würdig, daß Sie sich mit mir beschäftigen. Doch da es Ihnen einmal so gefällt, verfügen Sie über mich.«
    »Ich glaube, Sie werden es nicht bereuen. Folgen Sie mir.«
    Er rief den Kellner, um meine Zeche zu bezahlen, und wir brachen auf.
    Der Bahnhofsplatz lag schon in fahlem Licht. Der Graue schritt ohne Eile und kleine Melodien pfeifend durch die noch leeren Straßen; ich hielt mich neben ihm als jämmerlicher Klient. Es war mir dumpf und unheimlich zumute; ich ahnte, daß ich in böse Fänge geraten war. Was mochte er von mir wollen, was plante er gegen mich? Zum ersten Mal ergriff mich wie ein feiner Schmerz die Sehnsucht nach der Kinderzeit. Was hatte ich aber zu verlieren in dieser Dämmerung vor dem Nichts?
    Wir waren bald am Ziel. Der Unbekannte hielt vor einem der hohen Geschäftsgebäude, die ganz und gar mit Firmenschildern und Reklamen verhüllt sind wie mit buntem Lappenwerk. Wir traten ein, ein Fahrstuhl brachte uns empor. Der Graue öffnete eine Türe, über deren Klingel ich seinen Namen las: »Dr. Fancy, Augenarzt. Sprechstunden nur nach Vereinbarung.«
    Ein kahler Vorraum führte in die Praxis, die der Werkstatt eines höchst intelligenten Handwerkers glich. Ein Tisch trug Brillen und optische Instrumente, und an den Wänden hingen Tafeln mit Ziffern und Buchstaben. Es war ein Raum, in dem der rechte Winkel und die gerade Linie herrschten; er schien mir ganz von scharfen, mitleidlosen Strahlungen erfüllt. Besonders fiel mir ein Kasten mit Glasaugen auf. Sie lagen auf rotem Sammet und leuchteten in Farben, die die des Lebens übertrafen und eher an Opale erinnerten. Sie deuteten auf einen Augenmacher ersten Ranges hin.
    Der Doktor Fancy nötigte mich in einen Wachstuchsessel und nahm mir gegenüber auf einem Schemel Platz. Er hatte jetzt einen weißen Kittel angelegt. Er blickte mir scharf in die Augen; es schien mir, als ob aus seinen fast punktförmigen Pupillen zwei feine Strahlen in mich eindrängen. Mir wurde schläfrig, doch hörte ich genau die Sätze, die er langsam und mit unwiderstehlich sanfter Stimme zu mir sprach.
    »Ich werde Sie nicht unnütz aufhalten. Seit langem sind Ihre geheimen Wünsche mir bekannt. Sie waren, wenngleich unklar, auf dem rechten Wege; Sie sollen belohnt werden. Sie ahnten, daß es zwei Sorten von Menschen gibt: die Toren und die Wissenden. Die einen sind die Sklaven, die anderen die Herren dieser Welt. Worauf nun beruht der Unterschied? Ganz einfach darauf, daß zwei große Gesetze im Universum wirken: der Zufall und das Notwendige. Merken Sie wohl: es gibt nichts außerdem. Die Sklaven regiert der Zufall; die Herren bestimmen ihn. Es gibt im namenlosen Heer der Blinden einige Geister, die sehend sind.«
    Die Stimme schläferte mich ein. Der Rausch kam stärker als vorhin. Ich hörte, daß der Doktor sich mit Instrumenten beschäftigte. Dabei fuhr er gemessen, doch höchst eindringlich in seinem Vortrag fort, von dem mir kein Wort entging:
    »Die Welt ist nach dem Vorbild der zwiefachen Kammer, der chambre double, ausgeformt. Wie alle Lebewesen aus zwei Blättern, so ist sie aus zwei Schichten angelegt, die im Verhältnis von Innen- und Außenseite stehen und von denen die eine höhere, die andere mindere Wirklichkeit besitzt. Doch wird die mindere Wirklichkeit bis in die feinsten Züge von der höheren bestimmt.
    Nun denken Sie sich folgendes: Sie halten sich mit einer großen Gesellschaft in dieser Kammer oder in

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