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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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diesem Saale auf. Man spielt, man debattiert, man treibt Geschäfte, kurzum man tut, was Menschengewohnheit ist. Für die uneingeweihten Gäste werden die Dinge und ihre Konstellationen in diesem Saale mehr oder minder dem Zufall anheimgegeben sein. Daher vermag auch keiner unter ihnen mit Sicherheit zu sagen, was selbst die nächste Minute bringt. Hier herrscht das Unvorhergesehene, die blinde Kraft.
    Jetzt denken Sie weiter: Der Saal ist noch von einer zweiten Schicht umkleidet, die unsichtbar wie eine Aura ist. Sie sei fast ohne Ausdehnung, doch signifikativ. Sie stellen sich diese Schicht als eine Art Tapete vor, durchwoben von Bild- und Ziffernschriften, die man übersieht. Ich werde Ihnen die Schuppen von den Augen nehmen, und voll Erstaunen entdecken Sie, daß diese Charaktere den Schlüssel zu allen Vorgängen bilden, die sich im Saal abspielen. Sie glichen bislang einem Menschen, der nächtlich der Bahn der Sterne folgte, doch ohne Kenntnis der Astronomie. Nun sind Sie wissend, und Ihre Macht gleicht jener der alten Priesterschaften, die Mond- und Sonnenfinsternisse verkündeten. Sie haben die Weihen angenommen, die Ihnen magisches Fürstentum verleihen. In dieser Welt verbirgt sich das Geheimnis; es gibt keine andere. Sie werden mir ewig dankbar sein.«
    Bei diesen Worten beugte Doktor Fancy sich über mich. Ich sah, daß er die Stirn mit einem Band umgürtet hatte, das einen runden, in der Mitte durchbrochenen Spiegel trug. Mit einer Handbewegung brachte er meinen Stuhl in horizontale Lage und näherte sich mir mit einer spitzen Glasröhre.
    »Ein Irrer – der Kerl will dir die Augen ausbeizen!«
    Ein eisiger Schreck durchfuhr mich; ich konnte kein Glied regen. Ich sah ihn den Spiegel herunterdrehen; er blickte mich wie durch ein ungeheures, doch leeres Auge an. Ich hörte ihn murmeln:
    »Der Brandy hat gewirkt.«
    Die Haare sträubten sich mir. Ich öffnete den Mund, doch löste sich kein Schrei aus meiner Brust. Er brachte die Röhre über meine Augen und ließ zwei Tropfen, die wie Scheidewasser brannten, hineinfallen. Der Schmerz war unerträglich; es wurde dunkel, und ich fühlte, daß ich in Ohnmacht fiel.
    Als ich erwachte, hatte Doktor Fancy den Stuhl schon wieder emporgeschraubt. Er tupfte mir mit einem Wattebausch die Augen aus.
    »Es hat wohl ein wenig weh getan? Nun, ohne Schmerz keinen Preis. Darüber sind Sie nun hinweg. Wir sind jetzt fertig, und ich wiederhole: Sie werden mir dankbar sein.«
    Ich wagte kaum zu glauben, daß ich davongekommen war. Vorsichtig blickte ich mich nach einem Werkzeug, mit dem ich ihn notfalls zu Boden schlagen könnte, im Raume um. Dann sagte ich höflich:
    »Herr Doktor, Sie haben jetzt Ihren Spaß an mir gehabt. Nun lassen Sie mich bitte gehen – ich fühle mich sehr schwach.«
    Mehr um ihn in Sicherheit zu wiegen, fügte ich hinzu:
    »Wenn Sie mir ein kleines Zehrgeld reichten, würde ich Ihnen dankbar sein.«
    Der Doktor lachte:
    »Krösus bittet um eine milde Gabe – nun gut, man hört ja auch, daß Milliardäre oft ohne Kleingeld sind.«
    Er trat an seinen Schreibtisch und gab mir, ohne nachzuzählen, ein Bündel Scheine:
    »Verwenden Sie zunächst die kleinen Noten, solange Sie noch in diesem Aufzug sind. Sonst wird man Sie einstecken.«
    Er blickte mich noch einmal an wie jemand, der mit seinem Werk zufrieden ist:
    »Sie werden freilich bald erkennen, daß Schloß und Riegel nicht für Ihresgleichen geschaffen sind. Sie stehen jetzt über dem Gesetz.«
    Damit entließ er mich.
    Die Straßen waren schon belebt. Ich stürzte mich in ihr Gewühl. Noch hielt der Schrecken mich in seinem Bann. Um keine Summe hätte ich das Abenteuer wiederholt. Ich lief in einen öffentlichen Garten und setzte mich erschöpft auf eine Bank. Erst als ich in meine Tasche griff, fiel mir das Notenbündel ein. Ich zog es hervor und zählte es behutsam durch. Die Scheine waren ohne Zweifel echt. Die Summe war bedeutend – das machte den Vorgang vollends rätselhaft. Doch sann ich weiter nicht darüber nach. Mir war zumut wie einem Schiffbrüchigen, der festes Land gefunden hat.
    Der Morgen war schön und warm. Allmählich rückte ich, in der Sonne sitzend, mir den Kopf zurecht. Dem Doktor Fancy war ohne Zweifel eine Schraube losgegangen; seine Umgebung hatte das noch nicht bemerkt. Ich hatte von seinem Wahnsinn profitiert. Das Abenteuer hätte auch eine üble Wendung nehmen können – man mußte Glück haben. Zuweilen blätterte ich unauffällig mein Notenbündel durch.
    Ich

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