Ein abenteuerliches Herz
dort in das Restaurant zurückkehren. Alles weitere wurde auf dem Zimmer serviert. Was oben aus Küche und Keller verlangt wurde, ging über die Hintertreppe – da gab es keine Ausnahme. Madame Stephanie hatte ihre Gründe dafür. Die Vordertreppe war immer sanft erleuchtet und fast immer leer.
Organisch war die Hausordnung auch insofern, als sie nicht auf Vorschriften, sondern auf langer Gewohnheit beruhte und in fest eingefahrenen Geleisen lief. Madame Stephanie hatte eine gute Kundschaft und altgedientes Personal. In solchen Fällen kann die Regie zu einer Art von Spiel werden; ein Blick, eine Andeutung genügt. Das Geschäft lief wie ein Uhrwerk und war eine Goldgrube. Es hatte Gäste, die nicht kleinlich rechneten. Madame Stephanie hielt darauf, daß Maler und ähnliches Volk nicht eindringen konnten; und was die Schauspieler betraf, so mußten sie, wie der junge Coquelin, Renommee haben. Die Regel erstreckte sich nicht auf die Schauspielerinnen; hier überwogen die Debütantinnen.
Man fühlte sich wohl bei Madame Stephanie. Sie war eine angenehme Person und, obwohl in reiferen Jahren, immer noch anziehend. Ihre Schönheit war dezent wie die einer Nonne; sie lag vor allem in den regelmäßigen Proportionen der Figur und des Gesichtes, die durch ein geheimnisvolles Lächeln und eine ruhige Altstimme unterstützt wurden. Das gab ihr etwas Unpersönliches, das man, wie das Bildnis eines alten Meisters, mit Sympathie betrachtete.
Die Menschen lieben die Wiederkehr des Gleichen – vor allem, wenn sie die Erinnerung an erfüllte Stunden wachruft und erneut. In diesem Sinne war Madame Stephanie im wechselvollen Dasein ihres Freundes- und Gönnerkreises zu einer Gestalt geworden, die Tradition umwitterte. Sie war Bewahrerin, Beschließerin von längst verglühten Stunden, die wieder aufleuchteten, wenn man den Flur betrat. Man atmete da etwas wie den Duft von Räucherpfannen, auf denen durch Jahrzehnte hindurch Weihrauch verbrannt wurde.
Dem kam entgegen, daß Madame Stephanie kaum alterte. Sie war immer noch die gleiche, als welche man sie schon bei der Vernissage gekannt hatte, höchstens unmerklich dunkelnd wie ein Bild. So stand sie, stets Dieselbe, mit dem geheimnisvollen Lächeln im Rahmen des Flures, der matt erleuchtet war. Jahraus, jahrein war sie in dunklen Stoff gekleidet, zu dem sie als einzigen Schmuck eine Kette von Elfenbeinkugeln trug. Das harmonierte mit ihrem Teint, der sich durch eine Blässe auszeichnete, wie die Kasteiung in den Klöstern sie erzeugt.
In ihrem Reiche herrschten Ordnung und Diskretion. Sie kannte jeden ihrer Gäste, doch nie hätte sie ihn ohne besondere Aufforderung wiedererkannt. Was die Ordnung betrifft, so wird sie oft dem Licht verglichen und ist ihm auch darin ähnlich, daß sie erst durch die Unordnung Qualität gewinnt, wie Licht durch Dunkelheit. Ordnung ist weniger wichtig in der Kaserne als auf dem Schlachtfeld, im Hafen als auf hoher See. Zwar blühte das Geschäft von Madame Stephanie ganz im Verborgenen, doch konnte allerhand vorkommen, wenn man die Zügel locker ließ.
Die weibliche Energie ist stärker, wenn auch weniger sichtbar, als die männliche. Sie ist durchdringend, minder sprunghaft, waltender. Sie ist biegsamer und doch härter als die berühmte Stahlklinge. Aber wie der Stahl hat sie diese Tugend nicht von Anfang an besessen, sondern erworben, indem sie im kalten Bade geschreckt wurde. So war es auch bei Madame Stephanie. Sie hatte ihre bitteren Erfahrungen machen müssen durch das, was man noch lange in ihrer Heimatstadt Mantes ihren Fehltritt genannt hatte. Nun galt sie auch dort als Madame Stephanie. Der Titel war vollwichtig.
Aber damals war es hart gewesen im Soge der Weltstadt; nach dem Schiffbruch drohte der Untergang. Von den Rekruten, die dort alljährlich in die Kasernen rücken, bringt es vielleicht einer von hundert zum Offizier. Ähnlich verhält es sich mit den weiblichen Kontingenten, die von der Provinz jahraus, jahrein der Kapitale wie einem Moloch geopfert werden – wie wenige bringen es zum Rang einer Madame Stephanie. Wie der Soldat vor allem dadurch aufsteigt, daß er sich auf exponiertem Posten bemerkbar macht, so war es auch hier gewesen: sie hatte in einer besonders heiklen Position begonnen, als Aufwartung in einer der berühmten Vergnügungsstätten auf dem Mühlenberg. Hier war sie bald als zuverlässig befunden und in die Bar befördert worden – eine gefährliche Auszeichnung.
Eine Bar, die ihre Bestimmung erfüllt,
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