Ein abenteuerliches Herz
war eine unverwüstliche Aufwärterin, aber man konnte sie nicht vorzeigen, außer wenn etwa ein Glas zerbrochen war und sie mit Besen und Eimer erschien. Darüber hinaus konnte man ihr nichts zumuten.
Madame Stephanie machte eine Anstrengung, um sich zu erheben, aber sie fiel kraftlos zurück. Noch einmal tränkte sie ein Stück Zucker mit den braunen Tropfen und ließ es im Munde zergehen. Es hatte einen bittersüßen, ein wenig widrigen Geschmack. Morgen, das wußte sie aus Erfahrung, würde sie frisch sein und disponieren wie in ihrer besten Zeit.
16
Die Bourdin, die aus der Küche zutrug, hörte die Schelle anschlagen. Sie seufzte und ging in den Flur. Die Bourdin gehörte nicht zu den Typen, die sich freuen, wenn ihnen Verantwortungsvolles übertragen wird. Wie eine Treppe gescheuert, ein Kessel geputzt wird, bis er wie Gold im Feuer leuchtet, das wußte sie, da konnte niemand ihr etwas vormachen. Aber die bescheidenste Anforderung an ihre Entschlußkraft ließ sie zurückbeben. Sie sah dann Gebirge von Schwierigkeiten aufwachsen. War aber ein Oberer zugegen wie Fräulein Picard oder die Patronin, dann hätte sie den Teufel nicht gescheut. Solchen Naturen sind die Medaillen für lange und treue Dienste zugedacht.
Sie sah wenig einladend aus. Die Haare fielen in grauen Strähnen in die Stirn, am Munde war ein Einschnitt schlecht vernarbt. So stand sie neben dem bunt bemalten gipsenen Neger, der mit einer Lampe die Treppe beleuchtete, kurzsichtig, mißtrauisch, ängstlich, als die Verkörperung der verdächtigen Situation.
Die Tür war offen, und Nebel drang herein. Im Flur stand eine Dame, die von einem Knaben begleitet war. Die Dame hielt Rosen in der Hand.
Gerhard begriff, daß es nun an ihm war, etwas anzuordnen, doch er kannte das Stichwort nicht. Das machte die Lage noch peinlicher. Endlich hörte er Irene sagen:
»Wir haben Verschiedenes zu besprechen und wollen ungestört sein. Schließen Sie uns ein Zimmer auf.«
Die Bourdin betrachtete sie angestrengt. Madame Stephanie wußte auf den ersten Blick, ob Zimmer frei waren oder nicht. Sie hielt auf einwandfreie Klientel, und die vom Trottoir konnten ihr nichts vormachen. Wie aber sollte die arme Bourdin wissen, was hier am Platze war? Offenbar handelte es sich um eine feine Dame, und fast war ihr, als hätte sie sie schon gesehen. Sie sagte:
»Wir vermieten nur für die ganze Nacht.«
Irene schlug ein gereiztes Gelächter an:
»Sie werden aber wohl Ihren Gästen erlauben, zu gehen, wann es ihnen paßt?«
Sie stieß den Schirm auf den Boden und wandte sich an Gerhard:
»Stehen Sie doch nicht so herum, als ob Sie das alles nichts anginge. Geben Sie ihr wenigstens Geld. Sie sehen doch, mit wem Sie es zu tun haben.«
Das war der Ton, den die Bourdin begriff. Sie wußte nun, daß die Dame »gutes Blut hatte«, wie es beim Hotelpersonal heißt. Nachdem sie kassiert hatte, führte sie die Gäste hinauf. Oben öffnete sie die Tür zu einer Art Salon. Auf dem Kamin verbreitete eine Lampe mit rotem Schirm ein mattes, angenehmes Licht. Die Bourdin fragte, ob sie auch den Kronleuchter anzünden solle – eine Frage, die immer verneint wurde. Aber Feuer im Kamin war erwünscht. Sie öffnete dann noch die Tür zu einem Nebenzimmer, die angelehnt blieb, und zeigte die Klingel für Bestellungen. Dann zog sie sich zurück. Das Paar war allein.
Irene trat vor den Spiegel und streifte den Schleier zurück. Das Licht war günstig für sie. Sie hatte ihr Cape schon abgelegt. Ihre Stimme klang jetzt viel freundlicher, einschmeichelnd:
»Was sind Sie ungeschickt. Aber es war ja auch eine unglaubliche Person. Dabei wird das Haus gerühmt. Sie denken doch nichts Schlechtes von mir, weil ich Sie hierher bestellt habe? Eine Freundin gab mir die Adresse – ich konnte Sie nur ganz im geheimen oder gar nicht sehen. Ich muß auch bald wieder gehen.«
Es war das Zimmer, in dem sie mit dem jungen Coquelin gewesen war. Über dem Kamin hing noch dasselbe Bild, eine Kopie nach Deveria: ein Paar, das sich umarmte, mit einem roten Vorhang im Hintergrund: ein Motiv von dezenter Intimität. Dieser Charakter wurde noch durch ein Messingschildchen mit der Inschrift »Das Brautpaar« betont. Darunter der Name des Malers – es handelte sich um den schwächeren der beiden Brüder, dessen Thematik sich durch eine merkwürdige Spannweite auszeichnet. Neben süßlichen Andachtsbildern, die in Privatkapellen und Boudoirs beliebt waren, verfügte er über eine feurige Pornographie. Man
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