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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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hielt hinter der Kirche, dann näherte sich ein leichter Schritt. Sein Herz begann zu klopfen; es mußte die Gräfin sein. Er fühlte ein leichtes Erschrecken, als ob Seide zerrisse; die Stunde war da. Er war nicht sicher, ob er es nur träumte, aber der Traum war schön.
    Sie war es. Er fühlte ihre Hand auf seinem Arm.
    »Gut, daß Sie da sind. Ich hatte es kaum zu hoffen gewagt.«
    Sie drückte ihm die Hand:
    »Was für ein Wetter. Alle Droschken sind unterwegs. Trotzdem wäre ich eher gekommen, wenn ich nicht einen Wagen mit einem Schimmel gewollt hätte. Ich dachte: wenn ich einen Wagen mit einem Schimmel finde, wird er auf dich warten – das ist doch dumm, aber Sie sehen, daß ich recht hatte.«
    Sie lachte. Er sah ihre Augen durch den hellen Schleier, den sie trug. Die Gestalt war von einem Herbstmantel verhüllt; sie trug einen zierlichen Schirm in der Hand. Ihre Stimme drang flüsternd auf ihn ein, als ob sie Lauscher fürchtete. Er war ihr Vertrauter, ihr Verschworener. Er sagte:
    »Ich danke Ihnen, daß Sie an mich gedacht haben, obwohl ich dessen nicht würdig bin.«
    »Ihnen kann man vertrauen, sonst wäre ich nicht hier. Nennen Sie mich Irene – Sie heißen Gerhard, nicht wahr? Ich habe Sie bei Ihrer Tante gesehen. Aber wollen Sie mich hier auf der Straße stehen lassen, wenn Sie sich mit mir um Mitternacht verabreden?«
    Die Frage machte ihn ratlos, sie beängstigte ihn. Die Begegnung war der Lichtpunkt gewesen, auf den er zustrebte wie ein Falter – er hatte nicht an die Entwicklung gedacht. Ohne Zweifel hatte er sie in eine gefährliche, oder, schlimmer noch, in eine zweifelhafte Lage gebracht. Jeden Augenblick konnte ein Passant vorbeikommen, und leicht war möglich, daß es ein Bekannter war. Die halbe Stadt kannte ihr Porträt von Odilon Redon. Gerhard begann zu zittern; er fühlte sich schuldbewußt. Aber was sollte er tun? Er wagte nicht einmal zu antworten.
    Auch Irene schien sich zu ängstigen. Sie klammerte sich fester, schutzsuchend an seinen Arm. Fast war es, als ob sie ihn sanft zurückdrängte. Er fühlte hinter sich den Widerstand einer Tür, die nachgab und sich leise öffnete. Von neuem umfing Irene seinen Arm, doch nun zärtlich beruhigend, sie streichelte seine Hand. Ein Strom von Sicherheit ging von ihr aus. Sie mußte auf dem rechten Wege sein.
    Es wurde Zeit, sich zu verbergen, denn auf dem Pflaster erklangen Schritte; sie hörten Stimmen, Gelächter, das näher kam. Sie traten ein; die Tür glitt hinter ihnen zu. Sie waren in Sicherheit.
    14
    Die Tür zur »Goldenen Glocke« wurde erst in der Dämmerung geöffnet; sie blieb dann bis über Mitternacht hinaus nur angelehnt. Madame Stephanies Gäste warteten ungern auf der Straße; sie liebten, unauffällig einzutreten und ebenso sich zu entfernen – das war zu berücksichtigen.
    Der Eingang blieb aber nicht unbewacht. Solange Gäste sich im Restaurant aufhielten, pflegte Madame Stephanie vor einem kleinen Pult zu thronen, an dem sie Rechnungen addierte, kassierte und von dem aus sie das Personal beaufsichtigte. Hier war ein rundes Fenster in die Wand gebrochen, ein Ochsenauge, durch das der Flur zu überblicken war. Davor hing eine kleine Schelle, die beim Öffnen der Tür durch einen Klingelzug bewegt wurde. Man mußte schon feine Ohren haben, um sie zu vernehmen, doch hatte Madame Stephanie ein vorzügliches Gehör. Sie unterschied die leisesten Geräusche in ihrem Haus.
    Außer der Hoteltür gab es noch die zum Restaurant mit freiem Zutritt, ferner die Hintertür, die zum Markt hinausging und tagsüber den Lieferanten und den Angestellten für ihre Gänge offenstand. Nachts war sie verschlossen, doch gab es einzelne Gäste, die sie bevorzugten. Diesen öffnete Madame Stephanie persönlich und schloß hinter ihnen ab. Es hieß sogar, daß zwei oder drei Klienten eigene Schlüssel zu dieser Hintertür hätten; das war ein Gerücht.
    Das Haus mit seinen Türen hatte eine organische Ordnung, wie man sie in anatomischen Lehrbüchern an Abbildungen des Herzens studieren kann. Der Gang des Blutes durch die verschiedenen Vorkammern, Kammern und Ventile ist vorgezeichnet; er kann sich nur unter Katastrophen abwandeln. Ganz ähnlich war es in der »Goldenen Glocke« – hier konnte man vom Restaurant aus den Hotelflur betreten, aber nicht umgekehrt. Es gab Gäste, die das Haus nur als Restaurant, und andere, die es nur als Hotel kannten. Wenn man unten gegessen und getrunken hatte, konnte man oben ein Zimmer nehmen, nicht aber von

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