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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Hemdsärmeln; die Hosenträger wölbten sich über seiner Brust. Nachdem er den Leichnam mit senatorenhafter Würde betrachtet hatte, zog er sich zurück.
    Auf dem unteren Flur gab es Wortwechsel.
    »Ich bin Ritter der Ehrenlegion.«
    »Und wenn Sie Präsident der Republik wären!«
    Als die Polizei kam, hatte sich schon eine Gruppe gebildet, die Gerhard und die Tote schweigend umstand. Madame Stephanie, die, obwohl mehr tot als lebendig, im Haus umhereilte und sich zu vervielfältigen schien, hatte begriffen, daß nichts mehr zu retten war. Das war das Ende der »Goldenen Glocke«. Sie hatte ein Laken über den Leichnam geworfen, um das schändliche Geheimnis zu verdecken, aber ach, hier gab es nichts zu verheimlichen. Wie in einem unentrinnbaren Angsttraum starrte sie auf den roten Fleck, der sich von der Mitte aus stetig vergrößerte. Da ließ sich nichts zudecken, und hätte man Granit über die Untat gewälzt.



TRÄUME, 1970
    Ich wurde vor das Modell geführt. Es glich einem Irrgarten und war zur Ermittlung bestimmt. Die Prüflinge stuften sich selber ein. Die Gänge des Irrgartens führten immer wieder vor zwei geschlossene Türen; vor ihnen wurde dem Prüfling eine Frage gestellt. Je nach seiner Antwort öffnete sich die eine oder die andere.
    Zur Prüfung von Intelligenzen war das Modell vorzüglich geeignet; es konnte kein Zweifel über den Vorrang sein. Es handelte sich nicht um den groben Vortritt – der Prüfling erschloß sich vielmehr durch seine Antwort die Räume, die ihm zukamen.
    Es gab auch andere Systeme, die einwirkten und etwa den Grad des physischen Mutes oder die ethische Substanz ermittelten. Dann kamen physiognomische Entscheidungen. Der Prüfling wurde immer wieder vor zwei Frauen geführt, zwischen denen er zu wählen hatte, und die Wahl war schwer. Es waren immer nur kleine Unterschiede, und dennoch führte die eine Reihe auf große Höhen, die andere in den Schlamm.
    Ich stand neben dem Landrat, der mich hierher geführt hatte – es war in einem der Verwaltungsräume des Musée de l'Homme. Der Anblick des Modells erweckte in mir Bewunderung, solange ich es als Spielzeug, als Buch der Rätsel betrachtete. Doch wenn ich daran dachte, daß es ersonnen war, um Schicksal zu bestimmen, dann fühlte ich, daß Furcht und Schrecken in mir aufstiegen.
    Ja, es war etwas Unheimliches in diesen von blanken Spiegeln erfüllten Labyrinthen, deren Türen sich lautlos schlossen und öffneten. Hier hatte der richtende Geist sein ideales System ersonnen, das räumliche Sinnbild jener Theologien, die streng nach Lohn und Schuld abmessen. Hier herrschten die furchtbaren Dämonen des Entweder-Oder, deren Kennwort »Entscheidung« heißt.
    Ich wandte den Blick ab und fühlte mich erleichtert wie nach einem bösen Traum. Ja, Leibniz hatte recht: wir leben in der besten aller Welten, das kann man vor allem an ihren Unvollkommenheiten sehen. Wie gut, daß nicht nur zwei, sondern daß viele Türen dem Menschen offen stehen und hinter jeder zwar ein Irrtum, doch auch Hoffnung ist. Und welcher Segen, daß die Welt nicht so gebaut ist, wie Menschen sie ersinnen möchten; sie würden sie in einen Stern verwandeln, von dem die freie Gabe und die Gnade ausgeschlossen sind.
    Ich wandte mich zu dem Landrat, der immer noch neben mir stand, und sagte ihm, daß meine Neugier erloschen sei. Er lächelte und führte mich hinaus. Ich fühlte, daß das die Prüfung gewesen war.
    *
    Träume von topographischer Exaktheit; so fuhr ich lange Strecken auf einer Straße mit mehr oder minder gutem Pflaster, auf der zuweilen Pfützen standen oder herabgewehte Zweige den Weg schmälerten. Offenbar hatte ein Unwetter hier vor kurzem gewütet; trotzdem ging die Fahrt in flottem Tempo voran, etwa wie ein in guter Stimmung improvisierter Gesang.
    Dann durch ein Granitmassiv, einen Klotz vom Umfang des Kapstadter Tafelberges, der von Steilschluchten durchzogen war. Wenn wir eine von ihnen passierten, fiel Licht in den Tunnel, und es eröffneten sich Ausblicke auf besonnte Landschaften.
    Ein Bahnhof war in den Granit mit eingebaut, doch wies die Fassade schon auf offenes Land. Wir stiegen aus und erfrischten uns an einem geometrisch angeordneten Büffet. Die Formen der Pasteten, Braten, Früchte waren, als ob ein Maler sie vereinfacht hätte, auf den Generalnenner gebracht.
    Wie oft an solchen Orten, begegnete ich Bekannten, darunter dem Landrat, dessen achtzigjährige Mutter vor kurzem gestorben ist. Sie war zu Haus im Kreis der

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