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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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sekretiert von ihm Querschnitte durch Bordelle, deren Zimmer von roten und schwarzen Figürchen bevölkert sind. Das war Madame Stephanie natürlich unbekannt. Doch mochte in ihre Vorliebe für diesen Maler Unterschwelliges einspielen.
    Sie saßen sich nun gegenüber am Gaskamin. Die Scheite waren aus perforiertem Kupfer, dem sich bläuliche Flämmchen anschmiegten. Zum ersten Mal hatten sie Muße, sich zu betrachten – so wie man Bilder oder Photographien sieht. Irene hatte eine einsame Jugend gehabt. Wenn sie eine neue Puppe bekam, hatte sie sich mit ihr in einen Winkel zurückgezogen, um nach Herzenslust mit ihr zu spielen, ohne Zeugen und Zuschauer. Das starke Gefühl des Besitzes, das sie dabei ergriffen hatte, beglückte sie auch hier.
    Das Unheil dieses schönen Wesens lag darin, daß es geistig noch in der Kinderzeit verharrte – in dieser Hinsicht war ihm Gerhard verwandt. Es war eine Begegnung von Frühreifen, nicht von Erwachsenen. Als Irene im Hause ihres Vaters Kargané zum ersten Mal gesehen hatte, wußte sie, daß es ernst geworden war, ganz ohne Übergang. Bis dahin hatte sie nicht gewußt, welche Kraft das Auge haben kann. Sie hatte es im Gespräch mit dem Kapitän erfahren – bestürzend, als ob ein Piratenschiff sich demaskierte und die Kanonen blinken ließ. Wie war es möglich, daß diese Augen sich in zwei Lichter verwandelten, die grausam und mit schamlosem Wissen in sie eindrangen? Und was noch unbegreiflicher war – sie hatte im Augenblick geantwortet, hatte die Frage mit dem gleichen Wissen, derselben Schamlosigkeit bejaht. Das war die Flamme, die dem Blitzschlag folgt. Damit war alles entschieden; es gab keine Auflehnung. Im Grunde hatte er sie genommen wie ein Pascha; sein Zwang war stärker als alle Fesseln des Orients.
    Von Anfang an hatte sie sich gegen diese Herrschaft aufgelehnt. Sie konnte erobert, aber nicht besiegt werden. Im Gegenteil verstärkte jeder neue Zugriff den Widerstand, der sich zum Haß verdichtete. Und doch wuchs mit ihm ihre Eifersucht.
    Wie anders war das Idol, das sie in ihrem Inneren verwahrte und dem sie in ihren Träumen opferte. Am nächsten war sie ihm in jener Zeit gekommen, in der sie dem jungen Coquelin täglich Blumen und Früchte sandte wie eine Hirtin, die ihre Gaben vor einem Bilde niederlegt. Wenn er abends auf die Bühne trat, führte er sie über die Wirklichkeit hinaus. Man hätte im Theater eine Nadel fallen hören können, wenn er in leichter, freier Bewegung vor die Rampe trat. Irene mußte die Augen schließen – das war die Erscheinung; ihr Opfer war erhört worden.
    Sie suchte zu vergessen, was dann geschehen war. Ihr Fall lag darin, daß sie vom Ideal Realitäten erwartete und vom Realen Transzendenz. Das ist ein allgemeines Leiden, ist schlechthin menschlich – nur daß es bei ihr ins Manische gesteigert war. So schwankte sie zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her.
    Indem sie Gerhard betrachtete, verschmolz er mit dem jungen Schauspieler der Zeit, zu der er sie noch nicht enttäuscht hatte. Es war der gleiche Raum, in dem sich seine Nichtigkeit enthüllt hatte. Nun würde sie es zum guten Ende bringen; sie würde Kargané nicht mehr vermissen – im Gegenteil, sie würde auch, und zwar mit Gerhard, auf Reisen gehen. Sie würde ihm zunächst das Äußere geben, das ihr behagte; er würde gelehrig sein. Schon sah sie ihn auf die Terrasse treten, während unten die Pferde warteten. Jäh fühlte sie Lust, sein Haar zu streicheln, sich zärtlich um ihn zu bemühen. Sie faßte seine Hand.
    »Gerhard – ich darf doch Gerhard sagen – wie freue ich mich, daß Sie gekommen sind.«
    Für Gerhard, der ein reines Traumleben führte, war es, als ob er zu einer höheren Wirklichkeit erwachte; wie leicht und doch wie köstlich wog diese Hand. Es war eine Fee, die ihn besucht hatte. Er würde nun wunderbare Dinge hören, doch wünschte er zugleich, daß die Zeit anhielte und daß alles so bliebe, wie es war.
    17
    Er wußte nicht, wie lange sie so gesessen hatten, während ihre Hand auf der seinen und die seine auf der ihren ruhte – Erfüllung liegt nicht in der Zeit. Zeitloses zu gewähren ist der Sinn der Zeit. Sie waren nun ganz im Vertrauten, in großer Sicherheit. Gerhard war glücklich, und die nächsten dreißig Stunden seines Lebens wurden durch die Erinnerung an dieses Glück bestimmt, als ob er die Schuld dafür abzahlte.
    Plötzlich entzog Irene ihm ihre Hand und deutete zur Tür, als hätte sie etwas Schreckliches gesehen. Auch

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