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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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– in diesem Stil ging es vom Wecken bis zum Zapfenstreich. Erst gegen Mitternacht wurde er gemütlich, fast jovial.
    Die Pietisten, die bei uns zirkelten, Hausandachten hielten, sich mit ihren Burschen verbrüderten, waren ihm ein Greuel. Das Beten, bei Beerdigungen und so weiter, war in Ordnung; man nahm den Helm ab, natürlich auf Kommando, zählte langsam bis dreißig und setzte ihn wieder auf. Vom Jenseits hielt er nicht viel. »Jeschichte jenücht.« Einmal, zu später Stunde, saß er oben am Tische, am Hals rotfaltig wie ein alter Geier, und sagte: »Sollte et sowat jeben, dann komm ick wieder und steck euch ein Licht uff – ihr könnt euch druff verlassen – unmöglich steht nicht im Lexikon.«
    Es sollte mich nicht wundern, wenn er heut mit drunter wäre – hoffentlich lief er mir nicht über den Weg. Meine Erinnerungen an ihn waren nicht die besten; einmal hatte er mich angeschrieen: »Ick bring Sie vors Kriegsjericht!«
    Ich mußte jetzt runter und angelte nach meinen Stiefeln, aber fand sie nicht mehr. Nun, es würde bei der vorgeschrittenen Fidelität auch so gehen. Andere liefen schon ohne Feldbinde umher.
    Von unten kamen sie mir entgegen und knöpften sich im Gehen die Hose zu. Sie schlugen sich auf die Schultern mit dem schallenden Lachen der Biertrinker, das wie aus Kesselpauken heraufdröhnte. Sicher hatten sie sich bei der Verrichtung die alten Witze erzählt: Wie oft? wie viel? wie deftig? – und dabei bliebs.
    Unten war Überschwemmung: zwei Feuerwehrmänner, Brandmeister mit gekämmten Messinghelmen, hantierten dort. Sie hielten mit den Fäusten einen Schlauch umklammert und spritzten den Boden ab. Beide waren stark angetrunken und offenbar der Meinung, daß es hier etwas zum Löschen gab. Ich machte mich auf die Socken; Schaftstiefel, und nicht Strümpfe, wären angebracht. Es war wohl besser, in den Garten unter die Apfelbäume zu gehen.
    Draußen kühlten sie sich die Köpfe; man saß an den Gartentischen oder stand in Gruppen umher. Die Tische waren aus ungehobelten Brettern gefügt. Es roch nach Holz, nach Apfelblüten und frisch aufgebrochener Erde, auch schwach nach Weihrauch wie jenseits der Mainlinie. Drum wurde Wein getrunken – Wein nach dem Bier ist gut. Ich ließ mir einschenken. Hier bedienten nicht Faxe, sondern Stewards in blauen Pilotenjacken; sie gossen aus gläsernen Krügen ein.
    Jetzt lief er mir doch noch über den Weg, wie ich befürchtet hatte: Rothmaler. Er paßte nicht in den Rahmen, mußte von ganz unten heraufgekommen sein. Gleich hatte er mich erspäht: »Nun, wat hab ich jesacht?«
    Es hatte mich schon immer gewurmt, daß sie das G nicht aussprachen. Das war Nichtachtung dem Angesprochenen gegenüber; sie sparten am Ausdruck, gaben zwei Finger statt der Hand. Die englischen Reiter zierten sich ähnlich; sie mochten das R nicht aussprechen. »Bigad shall attack«, sagte einer von ihnen, als er in Indien angreifen ließ.
    Erträglich wird das im Maß, in dem sie es durchhalten. Das setzt dann in Erstaunen, es erheitert, ja imponiert. Rothmaler tat ein Übriges hinzu. Ich hatte ihn nur an der Stimme erkannt. Zum Sprechen gehört schließlich nicht nur ein Kehlkopf, sondern auch ein Kopf. Zwar hatte er ihn noch bei sich – das will ich zugeben – doch trug er ihn am Helmband unterm Arm.
    *
    Das Schloß muß riesenhaft sein; ich betrat es zum zweiten Mal.
    Es ist errichtet, vielleicht sogar gemeißelt aus braunem Granit. Die Mauern sind mit weißen Kernen wie mit Mandeln gespickt. Die breite Wendeltreppe ist ausgetreten; ihre Stufen sind zu papierdünnen Schichten vernutzt. Man steigt wie im Inneren eines vorsintflutlichen Nautilus empor.
    Diesmal war ich mit einem Mädchen hier. Ich hatte nicht gewußt, daß wir dorthin kommen würden, hatte es nur in einen Winkel führen wollen, vielleicht in einen Hausflur oder ein Gebüsch, obwohl es zögerte. Ich hatte ihm den Rücken gestreichelt, doch erst nachdem ich die Handschuh ausgezogen hatte, ging es mit.
    Zu meiner Enttäuschung wimmelten Hunderte von Menschen die Treppen auf und ab. Das war noch schlimmer als im Vatikan. Wir mußten in ein Museum geraten sein. Vielleicht gab es noch eine leere Kammer im Dachgeschoß.
    Der Menschenstrom trug uns in einen Saal, der ebenso groß und ebenso belebt wie die Sixtinische Kapelle war. Die Menge stand schweigend und blickte auf ein Lager – dort waren zwei aufgebahrt: junge Leute, ein Mann und eine Frau. Mir schien, daß sie nicht tot waren, doch auch nicht lebendig,

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