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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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den eine kometenförmige Agraffe schloß. Ich sagte, als ob wir eine Unterhaltung fortsetzten: »Ich habe unten den Bischof gesehen. So muß man alt werden.«
    Sie lächelte, als ob sie das besser wüßte: »Muß man das?«
    Da hörte ich draußen den Hahn des Nachbarn krähen und erwachte mit gutem Gefühl.
    Ich hatte noch antworten wollen: »Bei dir kann von Alter freilich gar nicht die Rede sein.«
    Draußen war Rauhreif; die Vögel tummelten sich vorm Fensterbrett. Ich ging noch einmal zum Friedhof, um zu sehen, ob der Frost die Blumen verschont hatte. Dabei fiel mir ihr Lieblingsvers aus der »Schönen Helena« ein:
    Drum meldet ein galanter Mann
    schon früher seine Ankunft an.
    Finale Gewißheit, Optimismus, doch auch nur als Gleichnis: Je ferner der Stern, desto sicherer wird er zum Ziel führen. »Die Götter sind auf den Planeten, Gott ist auf den Fixsternen zu Haus.«
    *
    Die Tür zum Schlafzimmer wurde aufgestoßen, und zwei vitale Burschen traten ein. Sie boten mir Schnitten an, die mit rotem Kaviar belegt waren.
    Dann ging ich ins Bad. Dort stand einer der Zuber, in denen Wäsche eingeweicht wird. Zu meinem Entsetzen sah ich Gretha darin liegen; das Wasser reichte ihr über den Mund. Ich riß sie heraus, behandelte sie wie eine Ertrunkene, umarmte sie. Sie begann zu meiner unendlichen Freude zu atmen; ich sagte:
    »Ich will dich wärmen, komm ins Bett.«
    Sie antwortete:
    »Komm du zu mir. Dort ist auch der Sohn.«
    *
    Zur Nacht immer wieder Rückkehr in die Hannoversche Mittelstraße 7a parterre, das Haus des Regimentsschneiders Wodrich am Waterlooplatz. Es wurde im Zweiten Weltkrieg durch einen Luftangriff zerstört und nicht wieder aufgebaut. Trotzdem gehen in meiner alten Wohnung immer noch Veränderungen vor, offenbar planmäßig. So betrat ich sie jetzt zum zweiten Mal, nachdem die Wand zwischen dem Wohn- und dem Schlafzimmer entfernt worden war. Ein Zwischenzustand, wie bei Umzügen. Die alten Möbel waren verschwunden, neue nicht aufgestellt. Leute von oben waren heruntergekommen; vielleicht war der Architekt dabei. Wir standen zusammen im Unwirtlichen. Mich bewegte vor allem die Sorge um den historischen Anschluß: nichts sollte verschwinden, ohne Zeugnis zu hinterlassen, daß etwas gewesen war, und sei es auch nur wie der Hauch eines Atems, der eine Scheibe beschlägt.
    So beglückte es mich, als ich über der Stelle, wo mein Bett gestanden hatte, an der Tapete mein Signet fand – ich hatte ein Fragezeichen daneben gesetzt. Damals wußte ich oft nicht: würde ich den nächsten Tag überstehen?
    Ich war im Kreis gewandert und erblickte die Spur, die sich im Sand erhalten hatte – – – bald würde auch die Tapete gewechselt werden, dann gab es weder Papier noch Inschrift mehr. Dennoch, und das war wie die Erquickung in einem Rasthaus, ich sah bestätigt, daß etwas gewesen war.
    Das Haus, das nicht mehr existierte – – – es konnte auch nicht verschwinden; es mußte mehr als Geschichte, ja mehr als Zeit in ihm gewesen sein. Ein Zwischenreich, auch in der Stimmung – – – unheimlich die zerstörte Heimstatt, doch unantastbar in der Idee.
    *
    Zur Nacht schon wieder in der Mittelstraße 7a parterre. Regimentsschneider Wodrich stand mit seiner Frau im Flur, er älter, sie jünger als zu Lebzeiten. Hinter ihnen ein Dritter, vielleicht der Architekt. Zwar herrschte Unordnung – so war das Bett auf die Kante gestellt – doch konnte ich einziehen. Wahrscheinlich mußte ich wieder Dienst tun, denn ich ging mit Frau Wodrich in die Stadt, um einen Wecker zu kaufen; das Wort war mir von jeher unangenehm. Dabei machte sie mir Vorwürfe. Ich hätte ihren Namen in meinen Schriften erwähnt; das sei ihr nicht recht.
    Schau, schau. Nicht nur suche ich sie hin und wieder, und womöglich öfter, als mir bewußt ist, in ihrer Zwischenwelt auf: auch sie beobachtet mich von dort.

AUS DEN PARISER NACHTSTÜCKEN, 1974
    Gerhard Loose zum 65. Geburtstag
    In einem Landhaus nahe der Banlieue. Umgebung, Räume, Einrichtung aus verschiedenen Epochen meiner Existenz. Am Tisch ein junger Offizier, der aus einer entfernten Garnison gekommen war. Eine »erste Begegnung«, die schon ahnen ließ: wir würden noch oft beisammen sein.
    *
    Dann rund um den Arc de Triomphe. Ich sah ihn immer wieder, bald frontal aus den Prachtstraßen, bald im Profil – in der seitlichen Ansicht so schmal wie die Scheingiebel von Barockkirchen. In diesem Viertel führen alle Wege zum Triumph.
    Ich suchte den Friseur. Es gab

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