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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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ein Zwischenglied zum ersten Bild insofern, als der Offizier noch für eine Weile neben mir ging und sich über Einzelheiten des Besuches belustigte. Dann verschwand er in einem Metroschacht.
    Die Champs-Élysées waren ganz eng geworden, die Läden dicht an dicht, verräuchert, lichtlos, wie in überfüllten Quartieren Südamerikas. Es war schwer, unter ihnen den des Barbiers zu finden – ungefähr so, als müsse man das bestimmte Blatt eines Lexikons aufschlagen. So eng war es nun. Endlich fand ich das Geschäft hinter dem Roßschweif; es war so schmal, daß die Stühle darin quer standen, und schon geschlossen – der Besitzer war beim Ausfegen. Er sagte mir, ich solle mich morgen wieder einfinden.
    Da suchte ich mir lieber einen anderen, denn ich wollte verreisen – doch schlenderte ich über die Straße wie ein Heimkehrer, denn ich mochte den Meister nicht betrüben, obwohl er es nicht verdient hatte.
    Hinter dem Eispalast war das Trottoir geschliffen; geschminkte Mädchen stelzten auf und ab. Eine, die noch keinen Freier gefunden hatte, trug einen schwarzen Halbschleier. Sie sang ein neues Couplet; ich hörte den Anfang im Vorübergehen:
    Je suis
    Femme de nuit
    La chauve-souris.
    Sie sang es mit angerauhter Stimme, halb leicht-, halb schwermütig. Aus großer Entfernung, jenseits des Marais, kam Antwort zurück:
    Je suis de l'eau
    Le serpent d'eau.
    Das war kein Matrosenstrich mehr; hier drohte Gefahr. Ich bog in eine Seitengasse mit grobem Kopfsteinpflaster ein. Man fühlt sich dort wohler als auf dem Asphalt, nicht nur, weil man oft etwas zwischen den Fugen findet, in denen Gras wächst, sondern vor allem, weil es von den Passanten gemieden wird. Man geht dort fast immer allein, falls man nicht auf Sonderlinge stößt.
    Auch diesmal machte ich einen Fund, hart an der Mauer, die bröckelte. Es war ein Ding, das eine Hand bedecken konnte, ein schwarzes Vlies; ich bückte mich danach und kniete davor hin.
    Sieh da: es war ein totes Fledermäuschen, leicht wie ein trockenes Blatt. Ich hob es auf; darunter war mürber, von Löchern durchsiebter Kalk. Dort würden die Totengräber, die Nekrophoren, zur Ruhe gegangen sein.
    Während ich in der Linken die kleine Mumie hielt und mit der Rechten die Gänge untersuchte, bemerkte ich, daß neben mir ein anderer kniete – das heißt: er brauchte nicht zu knieen, weil ihm die Beine fehlten; er hatte statt ihrer zwei Brettchen angeschnallt.
    Als Entomologe kann man sich nicht immer mit sauberen Sachen beschäftigen, doch ungern wird man dabei belauscht. Ich hatte zunächst seine Beine oder vielmehr deren Mangeln bemerkt. Nun blickte ich auf und sah sein Feuersteingesicht. So muß ich es nennen, und ich denke dabei nicht an den gelben, auch nicht an den roten oder grünen, sondern an den dunkelblauen, fast schwarzen Feuerstein. Das sind die härtesten. Man findet sie an den Kreidefelsen; die Brandung wäscht sie heraus.
    Bei alten Trinkern, deren Leber futsch ist, werden die Äderchen sichtbar wie die eines Blattes, das man mit der Bürste klopft. Sie schimmern rot und werden allmählich dunkler, endlich blau. Zunächst die Nase, dann die Wangen nehmen diese Farbe an, und auch die Lippen: das Herz spielt nicht mehr mit. Bei diesem war der Kreislauf abgeschlossen und ein neues Stadium gewonnen – eben Versteinerung.
    Wir schritten nebeneinander, wieder einmal auf den Triumphbogen zu, der schmal wie eine Rasierklinge geworden und kaum noch sichtbar war. Der Blaue war jetzt größer als ich. Er hatte wieder Beine; die Burschen sind, wenn sie betteln wollen, wahre Zauberkünstler; es nimmt fast wunder, daß sie nicht mit dem Kopf unter dem Arm kommen.
    Der Blaue war nicht nur zerlumpt, er war auch gefährlich; zwei Matrosen, die aus dem Bistro wankten, wichen uns schon von weitem aus. Er war aus dem Spital entlassen; sie wollten, wie er sagte, nicht, daß er dort krepiere – nun suchte er ein Plätzchen dafür. Zwischen dem Bois und Suresnes, bei den Schutthalden, würde es günstig sein. Dort würde nichts übrig bleiben, kein winziger Hügel zwischen den Abfällen. Kolkraben und herrenlose Hunde würden sein Gebein zerstreuen. Seinen Namen kannte schon jetzt keiner mehr.
    Nun gut – der eine stirbt früher, der andere später; der eine wird gleich vergessen, vom anderen erzählen die Enkel noch. Aber dann ists auch aus; die Wellen glätten sich über dem Namenlosen, gleichviel ob ein kümmerlicher Nachen oder ein Prunkschiff unterging. Salut und Signale verhallen im

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