Ein abenteuerliches Herz
mit den Händen zwischen die Rippen wie in eine Erdscholle.
»Die Physiognomie hat sich gut erhalten – sogar eine Mensurnarbe erkennt man noch. Aber wir wissen nicht, wer es gewesen, fanden weder Papiere noch andere Hinweise.«
»Dann geben Sie doch eine Anzeige in einem Blatt für Forstbeamte auf. Wahrscheinlich ein Oberförster, der in einem Jägerregiment gefallen ist.«
»Daran haben wir noch nicht gedacht. Es ist ein guter Rat.«
Beim Erwachen hörte ich die Tauben über Valentinos Hof. Ob dieser Traum die Reihe beschloß, die in jener Goslarer Nacht begann?
*
Zuvor als Postbote in einer Stadt. Beim Erwachen fixierte ich aus dem Bilde, das sich schnell verwischte, noch einige Details – nämlich daß ich in Gesellschaft des Vaters gewesen war und daß wir nicht durch die Straßen gegangen, sondern geschwebt waren. Vielleicht war auch der Bauer der Vater selbst.
Vater und Mutter sind weit öfter dabei, als wir ahnen, vielleicht immer; sie treten aber selten aus dem Dunkel hervor. Wir waren etwa in einem Laden, um einzukaufen, und entsinnen uns der geringsten Umstände.
Hat uns aber nicht jemand den Preis ins Ohr geflüstert, als wir den Gegenstand in der Hand hielten? Richtig, jetzt fällt uns ein, daß es die Mutter gewesen ist Sie muß aber von Anfang an mit und neben uns gewesen sein.
Das sind weniger Gesetze der Präsenz als der Identität.
*
Traurige Tage. In den Träumen sehe ich oft Feuer im Haus. Es glimmt unter der brüchigen Diele oder lodert im Fachwerk der Zwischenwand. Immer ist dieses Feuer vorhanden; aber es sollte doch nicht durch den Boden, nicht aus der Wand kommen.
In der verflossenen Nacht war ich zu Gast bei Gretha und anderen; sie saßen um eine mannshohe mit Rotwein gefüllte Amphore und warfen Erdbeeren hinein.
Der Sohn kam, um Milch zu bringen; es war am Eingang eines Dorfes, und ich sah, daß er an einem Denkmal vorüberschritt. Eigentlich war erst der Sockel errichtet, auf dem der Bürgermeister stand – sei es, um Anweisungen für den Bau zu geben, sei es aus einem anderen Grund. Er war also Stellvertreter oder Einrichter dessen, dem das Denkmal zugedacht war, Maßnehmer und Modell zugleich.
Als er den Sohn erblickte, verließ er den Sockel und sagte, daß die Milch in ein anderes Gefäß zu gießen sei. Vielleicht war sie ein Opfer für den, dem man das Denkmal errichtete.
Der Sohn trug einen Krug aus brauner, gebrannter Erde in der Hand.
*
Ich wollte der Kranken die Füße waschen; wir bestiegen dazu einen hohen hölzernen Turm. Zuvor legte ich meine Aktenmappe ab. Der Turm war nicht auf die gewöhnliche Weise gebaut; er schien geräumiger zu werden, je höher man stieg. Daher verbreiterten sich auch die Plattformen, auf denen wir rasteten. Die untersten waren zu schmal für unser Vorhaben, doch im Anstieg wurden die Böden bequemer, geeigneter.
Wenn wir eine Windung der Treppe erklommen hatten, blickte ich durch die Turmschlitze auf meine Mappe, die immer kleiner, entfernter und schwieriger zu erreichen schien. Falls sie mir geraubt würde, hätte ich eher den Verlust der Wertpapiere verschmerzt als den der Manuskripte, die sie enthielt.
Endlich fanden wir eine Plattform, die vollauf genügte; sie bildete den Boden eines schön getäfelten Saales; auch fand ich einen Wasserkrug, ein Becken und ein Handtuch dort. Einmal blickte ich noch auf meine Mappe zurück; sie war jetzt winzig geworden, aber sie leuchtete wie lauteres Gold im scheidenden Licht.
Sie konnte mir nicht mehr geraubt werden.
*
Gestern, an Grethas Todestag, zum Friedhof; am Abend eine Kerze vor ihrem Bild.
Nachts in einem großen Hotel, einer Luxuskarawanserei. Erinnerungen an das »Majestic« mit seinen tausend Kammern verquickten sich mit solchen der ersten Schuljahre. Wenn ich zu spät gekommen war, irrte ich mit steigender Angst durch Stockwerke und Flure; ich fand die Klasse nicht. Wenn ich eine Tür öffnete, saßen fremde Schüler auf den Bänken und lachten; ein unbekannter Lehrer blickte mich zähnefletschend an.
Heut fand ich wie im Traum den rechten Fahrstuhl, das rechte Stockwerk, den rechten Flur. Mein Schlafzimmer war erleuchtet; im Vorraum warteten zwei Dienerinnen auf mich. Es roch nach Zigaretten; ich fragte, ob ein Gast gekommen sei. Sie verneinten und gingen hinaus. Eine von ihnen strich mir dabei über den Arm; es konnte die dicke Hanne gewesen sein.
Ich ging ins Schlafzimmer und sah dort Gretha in meinem Bett liegen. Ihr Gesicht war sehr schön; sie trug einen Turban,
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