Ein abenteuerliches Herz
luftleeren Raum.
So ungefähr suchte ich ihn zu trösten, doch hörte er mich nicht an. »Mich kümmern nur solche, die verrecken wie ich.« Er wollte mit mir durchaus nichts zu tun haben. Nun war ich mit meiner Weisheit am Ende und im Grunde froh, als er sich von mir trennte und jenseits der Straße taumelnd verschwand, spurlos, wie er gekommen war.
GETRÄUMTES AUS »SIEBZIG VERWEHT«, 1981, 1993, 1995
Wilflingen, 14. März 1971
Ein großes Netz war zu entwirren; wir tasteten uns in seiner Ordnung langsam vor. Masche um Masche wurde in die rechte Bahn gelegt; zuweilen wurden morsche Stränge abgeschnitten, andere abgezweigt.
Wir lagen auf dem Bauche, neben mir einer in abgetragener Uniform: der Oberförster, der diesmal als Hindenburg erschien.
Nachdem wir lange als Seilflicker und Seilflechter vorangekrochen waren, kamen wir in eine Höhle, in der die Netzbahn endete. Der Fang war merkwürdig: ein Adreßbuch mit einer Rangliste der russischen Generalität. Merkwürdig auch, daß es uns gute Laune machte, als wir es durchblätterten.
*
Der Traum ist mehr als eine Schachpartie, die der Geist auf seinem eigenen Felde genießt. Ihm ist dabei ein Blick hinter die Kulissen der raumzeitlichen Welt vergönnt. Ihr Ablauf wird bei solchen Einsichten verschoben, als ob ein Filmband rückwärts abrollte oder in die Zukunft vorschösse. Ursache und Wirkung scheinen wunderlich vertauscht.
Ursache und Wirkung sind in Bildern konzentriert. Wir sind präsent in einer Stärke, von der, was wir bei Tage als Geistesgegenwart bezeichnen, nur ein Schatten ist. Daß sich im Leben und seinem Schicksalsgang Auswege öffnen, die uns retten, hat in diesen Schichten seinen Grund. Wir finden in den Träumen unser Selbst in seiner Fülle wieder; und die Entdeckung läßt uns ahnen, daß wir viel mehr vermögen, als wir uns zutrauen.
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Wir träumen als Übersetzer eigener Urtexte. Dabei ist uns die Freiheit des Romanciers gegeben, der, wenn er, von Schaffenslust getrieben, die Feder zur Hand nimmt, nicht weiß, wie die Handlung enden wird. Der Stoff beginnt zu keimen; es obliegt nun der Phantasie, hier oder dort anzusetzen – ein Zweig wird es auf jeden Fall. Die Freiheit des Autors fesselt stärker als die Strenge, mit der er das Thema zwingt
Als Träumer ist jeder genial. Da ist er Künstler – ja mehr als das. Das Kunstwerk erinnert an unsere Traumwelt, doch nur als Annäherung – es führt an sie heran. Das ist einer seiner Ausweise: ob es diese Stimmung erzeugen kann.
Wilflingen, 30. Mai 1973
Schön wäre es, wenn das plastische, kompositorische Element der Träume wiederkäme, durch das ich nach der Rückkehr vom Amazonas überrascht wurde. »Aha – ich habe nun die Rückseite des Globus gesehen.« Allerdings ist für die Bilder die Wendung nach Süden wichtiger als die nördliche.
Die Träume des Nordens sind blasser und dennoch stärker, obwohl sie die Bilder auflösen. Sie führen dichter an die graue, ungesonderte Substanz. Oft sind es kaum noch Träume – sie können auch am Tage kommen; der Nebel steht für die Nacht.
*
Darüber vielleicht einmal ausführlicher. Ich kam darauf, weil ich am Morgen aus einer zu Stationen gereihten Folge von Träumen aufwachte. Der Bericht könnte den Tag ausfüllen.
Der Planet war größer geworden, angewachsen zum Mehrfachen seines Umfanges. Eine neue Konquista war möglich geworden – über Ozeane von ungeheurer Ausdehnung hinweg. Das bot mit den schnellen Maschinen keine Schwierigkeit. Schon waren Forts und Faktoreien als Schröpfköpfe an einen Superkontinent gesetzt. Ich begleitete die alte Queen im Hubschrauber; wir flogen von einem dieser Plätze zum anderen.
Dann im Postamt; ich gab dort ein Paket auf und kam mit dem Beamten in ein Privatgespräch. Er wußte ein gutes Mittel gegen die Bindehautentzündung und teilte es weitschweifig mit. Hatte Sonntagsdienst und langweilte sich. Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, daß mich dieses Übel auf dem Vormarsch durch Frankreich geplagt hatte. Na ja, ein alter Beamter, hatte sicher gedient – dem kann ich vom Krieg reden.
Von dort zu einer Rodung, auf der ein Bursche einen riesigen Stoß von Geäst schleppte. Dazu diente ihm ein Gerüst, das er vertikal zum Sägen und horizontal zum Tragen benutzte – ließ er die Säge weiterlaufen, so verlor die Last ihre Schwere; er mußte nur dafür sorgen, daß sie nicht davonflöge. Das ärgerte mich. Wozu der Aufwand – früher hätten eine Axt und eine Kiepe genügt.
Es mußte
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