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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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erhöhtes Netz aus hellem Horn hob sich die Maserung der Jahresringe von ihm ab. Eine Fackel brannte in einem Wandhalter.
    Altenburgs Mutter war erschienen; sie deutete auf ein Lager aus Hobelspänen, das für mich gerichtet war. Ich fragte sie nach ihrer Tochter, dem gelähmten Kinde, das, als das Haus noch stand, oft bei der Großmutter gespielt hatte. Die alte Frau – sie war leicht wie eine Feder – hob den Kopf, als ob sie sich besänne, doch offenbar erinnerte sie sich nicht.
    Nun kam ein Andrang, als ob Gäste nahten, und ich erwachte zum zweiten Mal. Ich hörte mein Herz aus der Tiefe pochen; auch das kein gewöhnlicher Traum. Es war die Einladung zu einem Totenfest gewesen, denn von diesen allen, die dort erschienen waren, lebte nicht einer mehr.
    Die Nächsten sind immer dabei. Auch Altenburg gehörte zu ihnen; er war der Wirt der Großmutter. Warum aber Neuhaus, der mich nach Mitternacht dorthin geführt hatte? Die Namen ergänzten sich auf sonderbare Art.
    *
    Ich kam aus Paris mit Freunden, darunter Banine. Sie hatten viel von der Großmutter gehört und wollten sie sehen. Ich war seit Jahren nicht bei ihr gewesen und irrte nun in der Südstadt umher, ohne das Haus zu finden; das brachte mich in Verlegenheit.
    Wieder hatte sich viel verändert, doch nicht, wie bei meinen Besuchen nach dem Kriege, durch Zerstörung allein. Verwahrlosung war dazu gekommen; so breiteten sich zwischen den Ruinen und den noch bewohnten Häusern Ödflächen mit Gebüschen, Sümpfen und Weihern aus. Sie mochten zunächst als Gärten bestellt gewesen und dann verwildert sein. Hier und dort standen noch eine Lauchstange oder ein Stachelbeerbusch, in den sich weißblühende Winden gerankt hatten.
    Mißlich war auch, daß man die Namen der Straßen verändert, die Häuser anders beziffert hatte – wie sollte ich mich da zurechtfinden? Neubauten standen noch in den Gerüsten, offenbar verlassen, bevor man den Richtkranz gesteckt hatte. Am Wohnblock, zu dem die Krausenstraße gehört hatte, fehlten die Fassaden; die Innenhöfe lagen frei. Dort begann ich zu suchen, und endlich fand ich den Eingang wieder unter dem Schilde »Tischlerei Altenburg«.
    Inzwischen waren in manche der alten Häuser Fahrstühle eingebaut. Auch sie schon wieder veraltet, wahre Menschenfallen; es schien ein Wagnis, sich ihnen anzuvertrauen. Nach einigen Irrgängen begegnete ich auf einem der Flure einer Frau in mittleren Jahren; sie kannte die Großmutter, die seit langem ihr Bett nicht mehr verließ, und führte mich zu ihr.
    Die Großmutter war wieder älter geworden, doch lag immer noch, und sogar stärker, diese Morgenröte auf ihrem Gesicht. Ich setzte mich zu ihr, doch weiß ich nicht mehr, worüber wir plauderten.
    Als ich wieder auf den Flur trat, bemerkte ich, daß ich meine Aktentasche vergessen hatte; ich kehrte noch einmal zurück. Wir wechselten wieder Rede und Antwort; die Sätze trugen nun einen anderen Sinn, als hätte ich bisher nur eine Übersetzung gekannt.
    Ich umarmte sie beim Abschied; dabei verschob sich ihr Hemd. Wie war es möglich, daß diese uralte Frau eine so junge, herrliche Brust hatte?
    *
    Ich entsinne mich, daß ich sie als Fünfjähriger in eben dieser Krausenstraße gefragt habe:
    »Großmutter, warum haben die Frauen eine andere Brust?«
    Sie sagte: »Wie kommst du darauf?«
    »Ich habe dich vorhin beim Waschen gesehen.«
    »Kind, du mußt dich getäuscht haben.«
    Eine Puritanerin ohne Zweifel, doch von westfälischem Blut. Übrigens entsinne ich mich genau: sie hatte damals trotz ihrem Alter eine Brust, die ich heute die einer Diana nennen würde – – – doch war sie nicht zu vergleichen mit der dieser Nacht.
    *
    Mit dem Rad einen Flußlauf entlang, der bis auf winzige Rinnsale ausgetrocknet war. Dort sah ich den Rotbart, der einen großen Fisch behütete. Er hielt ihn unter einem Brett verborgen, und ich dachte im Vorüberfahren: »Das Wasser ist doch viel zu spärlich, und auch zu warm, zu modrig – wenn man doch Eis hätte.«
    Dann füllte sich das Tal mit Wasser; Schlangen, behende, sehr kleine bunte, bewegten sich in ihm. Am Waldrand lag eine Gestalt, der ich nicht ansah, ob sie tot oder lebendig war. Ich stieg ab und trat hinzu: ein Leichnam in Resten einer grünen Uniform. Ein Mann stand neben mir – war es der Bürgermeister der Gemeinde, auf deren Grund der Tote lag? Er hatte sich schon mit dem Fall beschäftigt; der Leichnam war von Waldgängern entdeckt worden. Er wendete ihn hin und her; fuhr auch

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