Ein abenteuerliches Herz
1988 unsere Tochter Hannah geboren wurde, kam ein goldenes Kettchen aus Wilflingen, begleitet von einem Brief Liselotte Jüngers mit dem Hinweis auf meine, unsere besondere astrologische Beziehung zu den Jüngers: Denn ich war ja am 45. Geburtstag von Ernst Jünger geboren, und nun Hannah am 90. Geburtstag von Friedrich Georg Jünger.
Es war die letzte Freundlichkeit. Denn als ich zum 95. Geburtstag von Ernst Jünger fürs Jahr 1990 nun endlich einen umfangreichen Band TEXT+KRITIK über Jünger plante, wurde mir aus Wilflingen deutlich vermeldet: Henri Plard, der als langjähriger Übersetzer Jüngers Ruf in Frankreich gefestigt hatte, dürfe an einem solchen Heft nicht mitarbeiten; denn er war, weil er sich inzwischen auch kritisch über Jünger geäußert hatte, in Ungnade gefallen. Für mich war das nicht tragbar; denn ich war mit Plard befreundet und schätzte seine Arbeiten. Und schon gar wurde ich empfindlich, wenn man mir in meine Herausgebergeschäfte reinreden wollte. Und Plard schrieb dann – das ergab sich so, weil ein Beiträger, der über Jünger in Frankreich schreiben sollte, ausgefallen war – sogar zwei Aufsätze für das Heft. Aber auch Helmut Heißenbüttel lieferte einen überaus kritischen Text, der, natürlich, Jünger traf. Aber ich entschied mich dennoch, den Beitrag zu veröffentlichen. Eine Zensur sollte nicht stattfinden. Daraufhin teilte am 24. Mai 1989 Liselottte Jünger mir mit: Damit »haben Sie den Rubikon überschritten«. Der Tenor des Briefes: »Sie sind noch immer als Sohn des Hauses betrachtet worden, obgleich Sie sich längst entfernt haben.« Nun gut, ich hatte tatsächlich nicht gehandelt wie ein gehorsamer oder nur rücksichtsvoller Sohn. Sondern so unabhängig, wie ich es in Wilflingen gelernt hatte.
Für mich erklärte ich damit meine Beziehung zu Wilflingen bewusst für beendet; zumal in der Korrespondenz von Liselotte Jünger mit mir auch politische Urteile auftauchten, die ich so nicht hinnehmen konnte. Wie um mir dieses Finale auch schriftlich-kritisch zu bestätigen, schrieb ich 1990 meinen Essay »Krieger, Waldgänger, Anarch«, in dem ich Jüngers Geschichtsflucht zu analysieren und aus seinem Werk zu begründen versuchte. Dieser Essay war mein eigentlicher Abschied von Ernst Jünger.
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Als ich im Jahre 2007 aus Marbach Kopien meiner gesamten Korrespondenz mit Ernst Jünger bekam, fand ich auf einem Brief, den Mitarbeiter von mir ohne mein Wissen auch an Ernst Jünger gesandt hatten, um Beiträge zum 30. Jubiläum von TEXT+KRITIK zu erbitten, diese Notate: » H. L. A. sagte zu Immig: er habe sich von mir abgenabelt.« Und von der Hand Liselotte Jüngers: »u.: er brauche keinen Übervater.« Dann wieder von Jüngers Hand: »Besser wäre: er hätte sich nicht erst angenabelt. 12. x .92. E.J. «
IX. Nachgeweht
Nach vielen Jahren hatte ich im Sommer 2009 bei einer geplanten Reise an den Bodensee Liselotte Jünger besuchen wollen und mich bei ihr angekündigt. Leider kam es dann doch nicht zu dieser Reise, und ich sagte den Besuch wieder ab. Darauf bekam ich einen Brief von ihr, den sie, die nicht mehr schreiben konnte, diktiert hatte; sie teilte mir am 28. September 2009 mit: »Ich habe mich gefreut nach so langer Zeit wieder von Ihnen zu hören und musste mir zunächst Ihre Anschrift suchen oder jemanden, der sie kannte, denn Ihr Brief enthielt nicht die leiseste Andeutung. Ich habe, so weit es möglich war, Ihren Lauf begleitet vor allem dadurch, dass ich Ihre Rezensionen jeweils gelesen habe in der FAZ , die ich nach wie vor lese. Natürlich konnte ich ihnen nichts Persönliches entnehmen, so dass ich jetzt sehr neugierig bin Näheres zu erfahren. Ich hoffe, dass Sie immer gesund gewesen sind und wüsste auch gerne, was aus Hannah geworden ist, vor allem, ob sie noch ein Geschwisterchen bekommen hat.
Es freut mich auch, dass Sie liebevoll der Wilflinger Wochen gedachten, und ich lächelte in mich hinein: Sie kommen doch alle wieder!«
Ich habe ihr noch ausführlich geantwortet, und tatsächlich bin ich wiedergekommen. Im Oktober 2010, bei einer kleinen Vortragsreise nach Sigmaringen, fuhr ich, 28 Jahre nach meinem letzten Besuch dort, mit einem Freund durch Wilflingen. Herbststimmung bei schönstem Wetter. Wenn man, von Sigmaringen kommend, ins Dorf einfährt, führt dort, wo es rechts zur Oberförsterei und zum Stauffenbergschen Schloss geht, der Weg links hoch zum Friedhof; dieser Weg heißt nun Ernst-Jünger-Allee. Wenn man sie bis zum Ende geht,
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