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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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höheren Aspekten vor sich geht, daß man sich also nicht allein den Leidenschaften überläßt, gegen die ich nichts einwenden will, sondern daß man auch eine Position gewinnt, wo man das ganze Spiel, in dem man einerseits mitspielt, doch auch als Zuschauer, Beobachter, höherer Betrachter sich vergegenwärtigt. Als ob man von dem Monde aus mit einem Teleskop betrachtet, was da unten vor sich geht. Oder ich will sagen: mit denselben Absichten, die Burckhardt hatte, als er die griechische Kulturgeschichte schrieb – nur eben angewandt auf unsere eigene Zeit.« Als ich einwarf: Also ein Resümee des Spiels der Kräfte dieser Zeit? »Nicht nur des Spiels der Kräfte, sondern etwas, was dahinter steht. Denn ich meine, daß ich da die Sache mit anderen Augen sehe als Marx, der ein Spiel ökonomischer Kräfte erblickt, während ich glaube, daß schon etwas mehr als Ökonomie dahintersteckt.« Und auf meine Frage, ob der »Arbeiter« auch den Anstrich eines utopischen Entwurfs gehabt habe: »Das möchte ich nicht sagen. Eher den Anstrich eines Rahmens, der eines Tages wohl ausgefüllt werden würde meiner Ansicht nach. Kein utopisches Bestreben, sondern ein realistisches Bestreben im eigentlichen Sinne, und ohne Partei zu nehmen.« Kommunisten und Nationalsozialisten reagierten denn auch gleichermaßen: »Die lehnten das sogleich ab. Ich las da im ›Völkischen Beobachter‹, daß ich mich in eine Sphäre begeben würde, in der Kopfschüsse fällig würden – das muß sehr bald, Ende 1932 gekommen sein. Und Organe wie das ›Berliner Tageblatt‹ bezeichneten das einfach als absurd, als absurdes Geschwätz. (…) Heute allerdings sehe ich, daß vieles von dem, was ich damals geschrieben habe, was damals unmöglich schien, sich inzwischen schon verwirklicht hat.«
    Jünger hatte mich Ende 1961 um mein Exemplar des »Arbeiters« (2. Auflage) gebeten, das er zerschneiden wollte, um es als Palimpsest für eine Bearbeitung des alten Texts zu nutzen. Die Arbeit am »Arbeiter« hatte ihn damals im Griff, ohne dass er damit zu Rande kam. Am 16. März 1962 schrieb er immer noch vom Beginnen: »Ich benutze diese beiden Tage noch, um mit der neuen Einleitung zu ›Der Arbeiter‹ zu beginnen. Ich darf mich da durch Subalternbeamtengeschwätz nicht aus der Ruhe bringen lassen. Eine zweite Fassung muß das Buch stoßkräftiger machen, das heißt, es vom polemischen Ballast abgelebter historischer Situationen befreien. Das hat dann das Gute, daß die Urfassung bis auf den I-Punkt bestehen bleiben kann. Wo es auf der Erde in politicis ernst wird, gehen die Dinge so vonstatten, wie ich es im ›Arbeiter‹ beschrieb. Der politische und weltpolitische Sektor liefert aber nicht die letzten Erklärungen. Darum ›An der Zeitmauer‹. ›Der Weltstaat‹ ist wiederum eine Spezialisierung, eine Verengung ins Politische. Hoffentlich sehen Sie das nicht als eine Fülle sich widersprechender Einzelheiten, sondern als Landkarte.«
    Zwei Jahre später schickte er mir die Umbruchfahnen des sechsten Bandes der ersten Gesamtausgabe mit einer Widmung, als Gegengabe für meine ihm fürs Zerschneiden überlassene Ausgabe: mit dem »Arbeiter« in seiner ursprünglichen Fassung, gefolgt von etwa 70 Seiten »Adnoten zum ›Arbeiter‹« unter dem Titel »Maxima – Minima« und dem Großessay »An der Zeitmauer«. Am alten »Arbeiter« konnte er nicht rütteln – es wäre das Eingeständnis einer Konversion gewesen, und die hätte sein Beharren auf der »Einheit meines Werks« erschüttert. »An der Zeitmauer« konnte er als Ausweitung der »Arbeiter«-Substanz ins Metaphysische erklären – sie verletzte diese Einheit nicht, ergänzte sie um eine Dimension. Insofern war dieser sechste Band der Gesamtausgabe eine Konfession: Sein Werk sollte unbedingt als Einheit gelesen werden.
    VIII. Abnabelung
    Im Sommer 1962 gründete ich – damals noch mit Lothar Baier – die Zeitschrift für Literatur TEXT+KRITIK , die Mitte Februar 1963 erschien. Jüngers Übersetzer Henri Plard, den ich im September 1962 bei den Goslarer Kulturtagen kennengelernt hatte – ich war zu einer Diskussion über Hans Henny Jahnn eingeladen, an der überraschenderweise auch Armin Mohler teilnahm –, hatte mir für das erste Heft der Zeitschrift, das sich mit dem damals vieldiskutierten Werk von Günter Grass beschäftigte, einen großen Aufsatz »Verteidigung der Blechtrommeln« [sic: Plural!] versprochen, der dann auch erschienen ist. Und ich hatte, als ich in Wilflingen war,

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