Ein abenteuerliches Herz
der einem Gefangenen heimlich ein Stück Brot zusteckt. Das kann nicht verloren gehen, und davon lebt die Welt. Es sind die Opfer, auf denen sie beruht.« Texte von dieser Art sind Kerntexte des von mir geschätzten Jüngerschen Werks.
Eines meiner Lieblingsstücke war der »Sizilische Brief an den Mann im Mond«. Das ist natürlich spätexpressionistische Romantik pur – und deshalb etwas Besonderes, für das Schreiben Jüngers nach 1933 auch stilistisch Untypisches. Solche sehr persönlichen Texte waren im ersten »Abenteuerlichen Herzen« von 1929 zu finden, das damals noch, romantisch wie der »Sizilische Brief« ein Jahr später, im Untertitel »Aufzeichnungen bei Tag und Nacht« hieß, wohingegen die neun Jahre später publizierte zweite Fassung des »Abenteuerlichen Herzens« den nüchtern formalen Untertitel trug: »Figuren und Capriccios« – aus dieser zweiten Fassung habe ich für diesen Band meine Lieblingsstücke ausgewählt. Und natürlich dürfen hier die »Afrikanischen Spiele« aus dem Jahre 1936 nicht fehlen, die den Ausbruch des Achtzehnjährigen nach Afrika nacherzählen: »Ich dachte damals mehr so an afrikanische Erlebnisse, hatte viel gelesen in diesen Reisebeschreibungen, Stanley ›Der dunkle Weltteil‹ und ähnliches. Ich stellte mir das sehr schön vor. Es muss immer sehr warm sein, warm, und Tiere und primitives Leben.« So Jünger im Gespräch mit Julien Hervier 1985.
An diese Jugendzeit erinnern auch die »Rehburger Reminiszenzen« aus den »Subtilen Jagden« von 1967, die Jüngers Streifzüge durch die Welt auf Käferjagd schildern. Überhaupt war Jünger ein großer Reisender und hat seine Eindrücke in einer Reihe von Reisetagebüchern hinterlassen, von denen mir diese beiden, »Aus der Goldenen Muschel«, das Tagebuch einer Reise nach Sizilien im Jahre 1929, und »Herbst auf Sardinien«, seiner Lieblingsinsel, mit die schönsten scheinen. Aber auch die inneren Streifzüge, die Erkundungen der inneren Horizonte hat er schon früh betrieben und beschrieben in »Drogen und Rausch«, dem einleitenden Teil der »Annäherungen« von 1970, in denen er von eigenen Versuchen mit Drogen erzählt und das Wesen des Drogenrauschs reflektiert – ein geistiger Streifzug wie jener ganz andere in die Welt und Geschichte der Sanduhren. Diese erzählend reflektierenden Bücher Jüngers sind mir näher als das umfangreiche essayistische Werk vom »Arbeiter« bis zur »Zeitmauer« (1959) und schließlich zur mystifikatorischen »Schere«, seinem letzten großen Essay von 1990, denen ich ihre auch gnostische Bedeutung gar nicht absprechen will – diese komplexen Texte hier repräsentativ abzubilden ist aber auch schier unmöglich. »Der Waldgang« ist deshalb – und aus den angegebenen Gründen – der einzige Großessay, den dieses Lesebuch berücksichtigt.
Aus dem erzählerischen Werk – beginnend mit den »Afrikanischen Spielen« (1936) und »Auf den Marmor-Klippen« (1939) bis zu den Romanen »Die Zwille« (1973), »Eumeswil« (1977) und der späten »Gefährlichen Begegnung« (1985) – habe ich Ausschnitte aus vier Romanen und seine wohl beste Erzählung, »Die Eberjagd« (1952), ausgewählt: Die eindrücklichsten Passagen aus den »Marmorklippen« schildern das Grauen am Köppelsbleek; »Ortners Erzählung« aus dem ersten utopischen Roman »Heliopolis« (1949) ist eine schöne kleine Fabel für sich; einige der zentralen Kapitel aus den »Gläsernen Bienen« (1957) weisen schon weit voraus in die Welt der Roboter bis hin zu den unbemannten Drohnen; und geradezu untypisch spannend für Jünger ist die kriminalistische Handlung aus seinem letzten Roman »Eine gefährliche Begegnung«.
Ein Buch, das den Anspruch erhebt, die wichtigsten Texte aus Ernst Jüngers Werk zu repräsentieren, darf natürlich auf seine Träume nicht verzichten. Die Träume, die Jünger zum Teil in kleinen Separat- und Privatdrucken publiziert, vor allem aber in all seinen Tagebüchern von den »Strahlungen« bis zu »Siebzig verweht« notiert hat, füllten allein einen ansehnlichen Band. Aus diesem großen Traumwerk habe ich einige der charakteristischen ausgewählt; aus Sentimentalität auch jene »Skurrilen Ausflüge«, deren erstes Stück, »Pariser Traum«, mir Ernst Jünger bei meinem ersten Besuch am 8. August 1960 als Manuskript geschenkt hat.
Den Schluss dieser Auswahl macht der Kommentar Ernst Jüngers zu seinem Werk: »Post festum« entstand 1975 als Danksagung bei der Feier seines 80. Geburtstags und
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