Ein abenteuerliches Herz
für ungehörig, ging aber nicht näher darauf ein. Nun aber erscheint mir die Sache in einem ganz anderen, bedenklichen Licht. Da gibt’s wahrscheinlich noch zu meinen Lebzeiten, sicher aber danach, Überraschungen. Dabei darf ich noch nicht einmal dem Papier anvertrauen, was meine Frau mir über andere M. betreffende Dinge oftmals gesagt hat – ich nahm M. immer dagegen in Schutz, und höre noch immer ihre Stimme: ›Ja, ja – der treue Secretarius.‹ Nun gut, wir standen schon Schwierigeres durch.«
Und dann erst die Mitteilung: »Nun aber zu Wichtigerem und Erfreulicherem. Eine neue Gefährtin tritt in mein Haus ein – und wieder, wie meine Gretha, ein Mensch, auf den ich mich von Grund auf verlassen kann. Der wiegt zehntausend Neider und Widersacher auf. Am 3. März werde ich hier in Wilflingen mit Frau Dr. Liselotte Lohrer die Ehe schließen – der Bürgermeister Beller wird hier in der Bibliothek den standesamtlichen Akt vollziehen, und der evangelische Pfarrer in Heiligkreuztal den kirchlichen. – Das bedeutet aber nicht, daß H. L. Arnold nicht doch wenigstens zum Schneckenessen herüberkommen kann. Wir haben im Riedlinger Hasen das Hinterzimmer reservieren lassen.«
Liselotte Lohrer, seinerzeit Leiterin der Handschriftenabteilung und des Cotta-Archivs in Marbach, hatte Jüngers Arbeit an der zehnbändigen Gesamtausgabe, die 1960 zu erscheinen begann, schon seit einigen Jahren intensiv begleitet. Unter ihrer Regie wurde sie dann auch zu Ende gebracht. Sie war eine vorzügliche Philologin und kam so dem Jüngerschen Credo hinsichtlich der Perfektionierung seines Stils sehr entgegen. So sind die seit 1980 erscheinenden Tagebücher »Siebzig verweht«, die 1965, nach dem Abschluss der ersten Gesamtausgabe und nach Jüngers 70. Geburtstag, einsetzen, wohl die am meisten be- und durchgearbeitete Tagebuchedition, die ein Autor je herausgegeben hat. Und auch die zweite große, nun 22-bändige Gesamtausgabe, an der noch einmal gründlich gefeilt wurde, wäre wohl ohne die Mitarbeit von Liselotte Jünger so nicht erschienen. Überflüssig zu erwähnen, dass sie auch die perfekte »Sekretärin« des »Chefs« wurde, die ihm manche Korrespondenz abnahm, ja die mehr und mehr sein literarisches Leben mit sanfter, aber bestimmender Hand leitete. Und dann wohl auch immer mehr zur durchaus eingreifenden Redaktorin seines Werks wurde.
Die Sache mit Mohler verlief sich. Die Arbeit an der Gesamtausgabe war wichtiger, ja die Arbeit überhaupt: »In diesen Tagen war ich fleißig, überflog den Paetel [die Rowohlt-Monographie], las Korrekturen von ›Der Baum‹ [der Essay erschien in einem opulenten Band mit Fotos von Albert Renger-Patzsch ] und ›Das Spanische Mondhorn‹ [als bibliophiler Band in Olten erschienen]. Das sind kleine Stücke, aber ich glaube, daß ich Ehre damit einlegen kann. In diesen Tagen schreibe ich auch ein Vorwort zum ›Arbeiter‹. Mit der Zweiten Fassung des Buches bin ich noch nicht zufrieden, daher bringe ich nur die erste und möchte im Vorwort die zweite Fassung ankündigen und dabei betonen, daß sie keineswegs bedeutet, daß ich die erste für überholt halte. Wo es ernst wird auf der Welt, vollziehen sich die Dinge, wie ich es im ›Arbeiter‹ beschrieben habe. Etwas anderes ist es, daß mich die politische Seite unserer großen Wendungen nicht mehr interessiert.« (20.2.1962)
Ich habe den »Arbeiter«, als ich ihn damals las, nie so recht begriffen, und als ich ihn dann später besser verstand, habe ich ihn nicht gemocht – er war für mich eine Sammlung der ideologischen Versatzstücke aller nationalistischen und bolschewistischen Propaganda der 1920er und 1930er Jahre (was noch in den 1990er Jahren Heiner Müller überaus faszinierte, wie er mir mal erklärte), und auch Henri Plard, der Jüngers Werk durch seine Übersetzungen in Frankreich berühmt gemacht hat, meinte, man könne dieses monströse Werk einfach nicht ins Französische übersetzen. Aber Jünger kam in Gesprächen immer wieder auf den »Arbeiter« zurück, um, wie auch in dem zitierten Brief, darauf zu verweisen, dass er darin die Welt vorausschauend so beschrieben habe, wie sie sich in ihren wesentlichen Teilen seither entwickle. Auf meine Frage nach der damaligen Intention des »Arbeiters« antwortete er: »Vor allen Dingen wollte ich mir mal – ebenso wie ich das im Kriege auch wollte – eine Klarheit bilden über die Vorgänge, in die man verwickelt ist. Denn das ist doch wichtig, daß man weiß, was unter
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