Ein abenteuerliches Herz
mich beinahe ums Leben gebracht hätte. Während meiner merkwürdigen Strafwache schlich nämlich eine Streife von drei Kriegsfreiwilligen durch den breiten Schilfgürtel am Bachrande vor und rauschte dabei so unbekümmert in den hohen Halmen, daß sie sogleich von den Franzosen bemerkt und beschossen wurde. Einer von ihnen, namens Lang, wurde getroffen und nie wieder gesehen. Da ich ganz in der Nähe stand, bekam ich auch mein Teil von den damals so beliebten Gruppensalven ab, so daß mir die Zweige des Weidenbaumes, an dem ich stand, um die Ohren pfiffen. Ich biß die Zähne zusammen und blieb aus Trotz stehen. Bei Beginn der Dämmerung wurde ich zurückgeholt.
Wir waren alle herzlich froh, als wir hörten, daß wir diese Stellung endgültig verlassen sollten, und feierten unseren Abschied von Orainville durch einen kräftigen Bierabend in der großen Scheune. Am 4. Februar 1915 marschierten wir, von einem sächsischen Regiment abgelöst, nach Bazancourt zurück.
Gespräch mit Ernst Jünger über »In Stahlgewittern«, 1966
Das kleine Interview mit Ernst Jünger über seine »Stahlgewitter« entstand in dieser Fassung im April 1966. Ich hatte, für eine kleine Monographie über Jünger, mit ihm im Februar 1966 ein langes Gespräch geführt und auf Tonband mitgeschnitten, das ich ihm in Abschrift schickte. Daraus lösten wir speziell zu den Büchern des Ersten Weltkriegs einige Passagen, die Jünger dann schriftlich neu formulierte und mir am 15. und 17. April 1966 zurücksandte. Daraus entstand das folgende Gespräch, das ich vergessen hatte und im Zusammenhang mit Arbeiten über meine Begegnungen mit Ernst Jünger fand.
Heinz Ludwig Arnold
Heinz Ludwig Arnold : Als Sie im Ersten Weltkrieg Ihre Tagebücher führten – schrieben Sie damals schon mit einer Absicht?
Ernst Jünger : Jedenfalls nicht mit der Absicht auf Publikation. Fast jeder Soldat führte damals ein Tagebuch. Bei mir kam vielleicht ein Trieb zum Dokumentarischen hinzu, aber nur in Bezug auf die Fixierung des eigenen Erlebnisses. Ich konnte ja auch fallen – das war sogar wahrscheinlicher. Da denkt man nicht an Literatur.
HLA : Und als die Tagebücher in Form der »Stahlgewitter« veröffentlicht wurden?
EJ : Dazu habe ich die Tagebücher noch stark bearbeitet. Sie haben ja die kleinen Notizbücher gesehen, die ich damals immer führte. Das mußte erst einmal in Kapitel gebracht werden. Und dann in eine Prosa, die ich vor mir verantworten konnte. Ich habe mich immer wieder bemüht, die Sprache zu vereinfachen.
HLA : Die Publikation erfolgte schließlich aus dokumentarischem Interesse?
EJ : Natürlich. Damals war Stendhal mein Meister. Man liest bei ihm öfters: »Ich bin neugierig, was man im 20. Jahrhundert darüber sagen wird.« Gut. Auch im 21. Jahrhundert wird man die Dinge anders werten als jetzt, wo man sie durch die trübe Brille von zwei verlorenen Weltkriegen sieht. Die historische Wertung wird die politische ablösen. Schon in Frankreich hat man heute andere Ansichten, etwa über Verdun, als bei uns.
HLA : Sie nahmen also die Notizbücher, als Sie damals in den Krieg zogen, allein in der Absicht mit, dem Ihnen eigenen Hang zur Beobachtung zu entsprechen?
EJ : Gewiß. Sie dürfen das einfach als Trieb ansehen. Wie Bauern ihren Acker pflügen, habe ich das Bedürfnis, Situationen, die ich sehe und erlebe, festzuhalten. Das habe ich immer gehabt, auch im Zweiten Weltkrieg, aber selbst bei einem einfachen Ausflug, wenn ich Pflanzen und Tiere sammle oder beobachte. Es ist möglich, daß sich aus den Aufzeichnungen ein Thema herausdestilliert. So neulich bei den »Gesteinen« oder jetzt bei den »Subtilen Jagden«; aber auch bei meinen Reisetagebüchern war das nicht immer der Fall.
HLA : Und wie kam es dann zu den weiteren Kriegsbüchern: »Das Wäldchen 125« und »Feuer und Blut«?
EJ : Es gab damals schon, was man heute »Bewältigung« nennt. Damals war es allerdings nur der verlorene Krieg. Die Väter hatten uns eine Aufgabe gestellt – warum hatten wir sie nicht gelöst? Dazu das Mißverhältnis zwischen Leistung und Erfolg. Die rote Welt, aus der wir kamen, wurde von einer grauen abgelöst. Es dauerte zehn Jahre, ehe ich mir das erst einmal von der Seele geschafft hatte.
HLA : Von der Seele schaffen – geschah das nicht sehr deutlich in »Der Kampf als inneres Erlebnis«?
EJ : [Als der Krieg begann und ich meine ersten Aufzeichnungen machte, war ich noch ein Kind.] 2 Ich wollte versuche, den Vorgang noch einmal von
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