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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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drohen.
    Celle, 2. September 1939
    Der schöne Weg durch den Französischen Garten zum Dienst, am Denkmal der Königin Karoline Mathilde und an der Bienen- und Seidenraupenzucht vorbei. Die grüne Rasenfläche in der ersten Kühlung des Herbstes; zuweilen streichen Elstern über sie hinweg. Dann Teiche, deren Spiegel an vielen Stellen von den weichen Flossenschlägen der Fische zittern, mit Schwänen und bunten Enten am Uferrand.
    In diesem Abschnitt, in dem das eigentliche Wachstum geleistet ist, gewinnen die Pflanzen gleichsam Besinnung, und nur noch zu reifen ist ihre Pflicht. Das tritt dann im Kontur hervor – in der ruhigen Pracht, der Sicherheit und oft metallischen Prägung der Lebensform. In der Frucht herrscht die Plastik vor, wie dereinst in der Blüte die Farbe und der Duft, und dieses Verhältnis gewinnt nun in der gesamten Pflanze Gestalt. Sehr schön ist etwa die Art, in der das Blatt am Ansatz zu schwellen beginnt, bevor es sich vom Zweige löst, vor allem bei den Platanen und Kastanien.
    Blankenburg, 6. September 1939
    Nach kurzem Urlaub in Blankenburg, wo ich an einem Kursus teilnehme. Jeder Krieg fängt mit Lehrgängen an. In Kirchhorst, wo ich spät ankam, fand ich die kleine Hausgemeinschaft in ihrer Lichthöhle. Im Garten reifen die Früchte gut heran. Auch der Wein gedeiht auf eine für diese nördliche, moorige Ecke erstaunliche Art, freilich im Glost einer Ziegelmauer, die jeden Sonnenstrahl gleich einem Polster aufbewahrt.
    Die Urlaubsstimmung hat etwas von »Paradise lost«, insofern als Verhältnisse, in denen wir alltäglich lebten, uns nun als Ausnahme zugebilligt werden. Nach längerer Abwesenheit gewinnt die Gestalt des Zurückkehrenden etwas Geisterhaftes, etwas vom Revenant. Gern wächst das Leben die Lücken zu. Das ist seit Agamemnons Zeiten Stoff der Tragödie, von der wir schon einen Hauch verspüren, wenn wir einen Garten, den wir verließen, wiedersehen. Die Blumen und Früchte blühen und reifen nun ohne uns.
    Blankenburg, 10. September 1939
    Sonntag, durch Lesung der Korrekturen der »Marmorklippen« fast ausgefüllt. Aus der Mühe, die es bereitet, die Wendung haargenau zu treffen, ist schon zu merken, wie Ares den Musen feindlich ist. Doch nützt es nichts, den Willen stärker anzuspannen – für ihn sind die Gewichte, die in der Prosa zu wägen sind, zu leicht, zu schwerelos.
    Merkwürdig übrigens, wie ich diese Arbeit »zum Termin« beendete. Vielleicht gibt es Instanzen, die dafür sorgen, daß zu den Gerichten, wie sie die Zeit bereitet, ein jeder mit seinem Gewürz zur Stelle sei. Dergleichen wahrzunehmen ist mir meist peinlich, wie wir ja ungern die Drähte spüren, an denen das Marionettenspiel befestigt ist. Die Macht der Freiheit ist so gewaltig, daß schon der Traum von ihr genügt.
    Zwischen Freiheit und Schicksal ist ein Verhältnis wie zwischen Fliehkraft und Gravitation – wie die Bahn der Planeten durch das Widerspiel von zwei entgegengesetzten Kräften geordnet wird, so führt sich auch die eigentlich menschliche, das heißt die aufrechte, Haltung darauf zurück.

STRAHLUNGEN, 1949
    Das erste Pariser Tagebuch
    Paris, 29. Mai 1941
    Zur Flut von widrigen Dingen, die mich bedrücken, kommt, daß ich zur Aufsicht bei der Erschießung eines wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilten Soldaten befohlen bin. Ich hatte zuerst die Absicht, mich krank zu melden, doch kam mir das zu billig vor. Auch dachte ich: vielleicht ist es besser, daß du dort bist als irgendein anderer. Und wirklich konnte ich manches menschlicher fügen, als es vorgesehen war.
    Im Grunde war es höhere Neugier, die den Ausschlag gab. Ich sah schon viele sterben, doch keinen im bestimmten Augenblick. Wie stellt sich die Lage dar, die heute jeden von uns bedroht und seine Existenz schattiert? Und wie verhält man sich in ihr?
    Ich sah also die Akten ein, die mit dem Urteil abschlossen. Es handelt sich um einen Gefreiten, der vor neun Monaten die Truppe verlassen hat, um in der Stadt unterzutauchen, wo eine Französin ihn beherbergte. Er bewegte sich teils in Zivil, teils in der Uniform eines Marineoffiziers und ging Geschäften nach. Es scheint, daß er allmählich zu sicher wurde und seine Geliebte nicht nur eifersüchtig machte, sondern auch prügelte. Sie rächte sich, indem sie ihn der Polizei anzeigte, die ihn den deutschen Behörden auslieferte.
    Darauf begab ich mich gestern mit dem Richter in ein kleines Waldstück bei Robinson, den vorgesehenen Ort. Auf einer Lichtung die Esche, der

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