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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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gewaltige Wiegenlied ihrer Monotonie. Besonders wirkt das dort, wo sie rein zur Anschauung spricht – wie in der Propaganda, die sich sowohl im scharfen schwarzweißen Muster ihrer Formen als auch in ihrer monotonen Wiederholung als eine der Gattungen der Technik ausweist. Die Besucher, die aus dem Lichtspiel strömen, gleichen einer Menge von Erwachenden, und wenn wir in die von mechanischer Musik erfüllten Räume treten, teilt sich uns leicht ein wenig von der Stimmung einer Opiumhöhle mit.
    Die beste Schilderung des vollautomatisierten Zustandes enthält die Erzählung »Hinab in den Maelstrom« von E. A. Poe, den die Goncourts in ihren Tagebüchern schon früh mit Recht als den ersten Autor des 20. Jahrhunderts bezeichneten. Sehr gut wird darin unterschieden das Verhalten der beiden Brüder, von denen der eine, vom furchtbaren Anblick des Mechanismus geblendet, sich in bewußtlosen Reflexen bewegt, während der andere sich denkend und fühlend verhält – und überlebt. In diese Figur spielt auch die Verantwortung ein, die den immer kleiner werdenden Eliten zuzufallen beginnt.
    Kirchhorst, 26. August 1939
    Um neun Uhr morgens, als ich im Bette behaglich im Herodot studierte, brachte Louise den Mobilmachungsbefehl herauf, der mich zum 30. August nach Celle einberuft und den ich ohne große Überraschung empfing, da sich das Bild des Krieges von Monat zu Monat und von Woche zu Woche schärfer abzeichnete.
    Nachmittags in Hannover, wo es noch manches zu ordnen und zu besorgen gab, so Kampfer für meine Sammlungen.
    Kirchhorst, 28. August 1939
    Fortgang der Mobilisation in allen Ländern. Noch wäre Zeit für den deus ex machina. Was könnte er aber bringen? Doch höchstens Aufschub. Das Strittige ist so gehäuft, daß nur das Feuer es aufarbeiten kann.
    Celle, 30. August 1939
    Aufbruch. Oben betrachtete ich mich im Spiegel, in meiner Leutnantsuniform, nicht ohne Ironie. Indessen geht es heute wohl vielen Männern in Europa ähnlich, die niemals daran dachten, wieder Dienst zu tun. Was mich betrifft, so rechne ich dergleichen auch dem Krebs in meinem Horoskop zu, der mich nicht selten in vorgelebte Lagen zurückversetzt, oft mit Gewinn.
    Während ich die Treppe hinunterging, wurde unten im Flur ein Telegramm abgegeben, das von Brauchitsch gezeichnet war und mir meine Beförderung zum Hauptmann mitteilte. Ich nahm das als Zeichen, daß Ares mir inzwischen nicht abhold geworden ist.
    Vorm Hause hielt ich eins der Autos an, die nach Celle fuhren; es gehörte zwei Hamburger Kaufleuten, die nach abgebrochenen Geschäften aus Paris zurückkehrten. Meldung beim Kommandeur des Ersatzbataillons in der riesigen Heidekaserne, der Massen von Einberufenen zuströmten. Beim Essen lernte ich die Offiziere kennen, meist mit Orden aus dem Weltkriege, darunter Juristen vom Oberlandesgericht. In der Stadt, um Ausrüstungsstücke zu kaufen. Zog vorläufig in den »Sandkrug« ein.
    Celle, 31. August 1939
    Weitere Einkäufe. Man muß sich in die Uniform einleben. Nachts hörte ich, halb im Traume, Radiostimmen, denen ich zu entnehmen glaubte, daß die Verständigung mit Polen gelungen sei. Mit Gedanken, wie ich den Herbst in Kirchhorst verbringen wollte, schlief ich ein.
    Celle, 1. September 1939
    Am Morgen beim Frühstück fragte mich der Kellner mit bedeutsamem Gesicht, ob ich die Tagesnachrichten gehört hätte. Danach sind wir in Polen einmarschiert. Tagsüber nahm ich im Hin und Her der Geschäfte die weiteren Neuigkeiten auf, die den Ausbruch des Krieges, auch mit Frankreich und England, im einzelnen bestätigten. Am Abend knappe Meldungen, Verfügungen, Verdunkelung der Stadt.
    Um zehn Uhr ging ich an die Schloßbrücke, zu einer Verabredung. Die alte Heidestadt war finster, und die Menschen bewegten sich wie Zauberwesen in einem Minimum an Licht. Das Schloß erhob sich, von einem matten blauen Schimmer überrieselt, wie der alte Palast in einer Märchenstadt. Wie schwerelose Tänzer glitten Menschen auf Rädern durch die Dunkelheit. Und hin und wieder klatschte ein schwerer Karpfen aus dem Graben, der den Schloßpark säumt. Gleich diesen Tieren schnellt uns die Lust zuweilen in ein fremdes, leichteres Element.
    Ich kam an einer Bank vorbei, auf der zwei alte Damen saßen; die eine sagte: »Du mußt bedenken, daß bei dem allen auch Fügung ist.«
    Dann im Café. Man tritt in Licht, Musik und Gläserklirren wie in geheime Feste und Albenhöhlen ein. Dazu dann wieder Rundfunkstimmen, die Bombenwürfe melden und den Menschen

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