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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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ist mir, als spielte die kleine Fliege in einem Sonnenstrahl darüber hin.
    Rückfahrt in einem neuen, stärkeren Anfall von Depression. Der Stabsarzt erklärt mir, daß die Gesten des Sterbenden nur leere Reflexe gewesen sind. Er hat nicht gesehen, was mir in grauenhafter Weise deutlich geworden ist.
    *
    Paris, 18. November 1941
    Über das Tagebuch. Es trifft doch immer nur eine gewisse Schicht von Vorfällen, die sich in der geistigen und der physischen Sphäre vollziehen. Was uns im Innersten beschäftigt, entzieht sich der Mitteilung, ja fast der eigenen Wahrnehmung.
    Da gibt es Themen, die sich geheimnisvoll durch die Jahre hindurch fortspinnen, wie etwa das der Ausweglosigkeit, die unsere Zeit erfüllt. Sie erinnert an das großartige Bild der Lebenswoge der asiatischen Malerei, auch an den Malstrom von E. A. Poe. Dabei ist diese Lage ungeheuer lehrreich, denn wo kein Ausweg, keine Hoffnung sich mehr bietet, werden wir gezwungen, stillzustehen. Die Perspektive ändert sich.
    Dennoch ist es merkwürdig, daß mich in tiefstem Grunde Zuversicht belebt. Durch Wogenschaum und Wolkenfetzen leuchtet der Schicksalsstern. Ich meine das nicht allein persönlich, sondern allgemein. Wir haben in diesen Wochen den Nullpunkt passiert.
    Die Anstrengungen, durch die man die Zeit zu bestehen sucht und durch die man Kraft gewinnt, sind sehr verborgen, sie finden am Grunde der Schächte statt. So der entscheidende Traum auf der Höhe von Patmos, als ich nach Rhodos fuhr. Unser Leben gleicht einem Spiegel, auf dem sich, wenn auch verwischt und neblig, sinnvolle Dinge abzeichnen. Eines Tages treten wir in dieses sich Spiegelnde ein, gewinnen dann Perfektion. Das Maß an Perfektion, das wir ertragen werden, deutet sich bereits in unserem Leben an.
    Während der Mittagspause in der Verkaufsabteilung des Kupferstichkabinetts, wo ich einige Abzüge vergriffener Stiche bestellt hatte. Darunter das schöne Bildnis einer Kobra, aufgerichtet und mit geblähtem Hals. Die Verkäuferin, ein hageres schwarzes Mädchen so in den Dreißigern, sagte mir, daß sie dieses Blatt immer mit der Rückseite nach oben gelegt habe. Noch beim Einwickeln nahm sie mit einem »Sale bête« Abschied von ihm.
    Auch sonst amüsante Person. Als ich eine Bemerkung machte, die sie als ungewöhnlich zu empfinden schien, stutzte sie einen Augenblick und musterte mich dann mit einem anerkennenden »Ah bon!«
    Während dieses kurzen Besuches durchblätterte ich die große Mappe mit Stichen nach Poussin. Obwohl ich seinen »Herakles am Scheidewege« in einer englischen Reproduktion seit Jahren über meinem Schreibtisch hängen habe, ging mir erst heute der mächtige, ja königliche Raumsinn dieses Meisters auf. Das ist die absolute Monarchie.
    *
    Paris, 7. Dezember 1941
    Nachmittags im Deutschen Institut. Dort unter anderen Merline, groß, knochig, stark, ein wenig plump, doch lebhaft in der Diskussion oder vielmehr im Monolog. Er spricht mit dem in sich gekehrten Blick der Manischen, der wie aus Höhlen hervorleuchtet. Er sieht nicht mehr nach rechts und links; man hat den Eindruck, daß er auf ein unbekanntes Ziel zuschreitet. »Ich habe den Tod stets neben mir« – dabei deutet er neben seinen Sessel wie auf ein Hündchen, das dort liegt.
    Er sprach sein Befremden, sein Erstaunen darüber aus, daß wir Soldaten die Juden nicht erschießen, aufhängen, ausrotten – sein Erstaunen darüber, daß jemand, dem die Bajonette zur Verfügung stehn, nicht unbeschränkten Gebrauch von ihnen macht. »Wenn die Bolschewiken in Paris wären, sie würden Ihnen das vormachen, Ihnen zeigen, wie man Quartier für Quartier und Haus für Haus die Einwohnerschaft durchkämmt. Wenn ich die Bajonette hätte, ich würde wissen, was ich zu tun hätte.«
    Es war mir lehrreich, ihn derart zwei Stunden wüten zu hören, weil die ungeheure Stärke des Nihilismus durchleuchtete. Solche Menschen hören nur eine Melodie, doch diese ungemein eindringlich. Sie gleichen eisernen Maschinen, die ihren Weg verfolgen, bis man sie zerbricht.
    Merkwürdig, wenn solche Geister von der Wissenschaft, etwa von der Biologie, sprechen. Sie wenden sie wie Menschen der Steinzeit an; es wird ihnen ein reines Mittel, andere zu töten, daraus.
    Ihr Glück liegt nicht darin, daß sie eine Idee haben. Sie hatten deren schon viele – ihre Sehnsucht treibt sie Bastionen zu, von denen aus sich das Feuer auf große Menschenmengen eröffnen und der Schrecken verbreiten läßt. Ist ihnen das gelungen, dann halten sie mit

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