Ein abenteuerliches Herz
der geistigen Arbeit inne, gleichviel mit welchen Thesen sie emporgeklommen sind. Sie geben sich dann dem Genuß des Tötens hin; und dieser Trieb zum Massenmorde war es, der sie von Anfang an dumpf und verworren vorwärtszwang.
Solche Naturen wurden in Zeiten, in denen sich der Glaube noch prüfen ließ, früher erkannt. Jetzt dringen sie unter der Kapuze der Ideen vor. Diese sind ganz beliebig, was schon daraus zu ersehen ist, daß man sie nach erreichten Zielen wie Lumpen von sich wirft.
Heute wurde die Kriegserklärung Japans bekannt. Vielleicht wird das Jahr 1942 dasjenige, in dem mehr Menschen als jemals zugleich zum Hades hinübergehen.
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Paris, 17. Februar 1942
Abends bei Calvet, in Gesellschaft von Cocteau, Wiemer und Poupet, der mir ein Autogramm von Proust für meine Sammlung gab. Cocteau erzählte daraufhin von seinem Verkehr mit Proust. Der ließ nie abstauben; die Flausen lagen »wie Chinchilla« auf dem Mobiliar. Beim Eintritt wurde man durch die Haushälterin gefragt, ob man nicht Blumen mitbringe, sich parfümiert habe oder in Gesellschaft einer parfümierten Frau gewesen sei. Man fand ihn meist im Bette, aber angezogen, mit gelben Handschuhen, weil er vermeiden wollte, die Nägel abzukauen. Er gab viel Geld aus, damit die Handwerker im Hause, deren Geräusch ihn störte, nicht arbeiteten. Nie durfte ein Fenster geöffnet werden; der Nachttisch war mit Medizinen, Inhalatoren und Zerstäubern bedeckt. Seinem Raffinement fehlte es nicht an makabren Zügen; so ging er zum Schlachter und ließ sich zeigen, »wie man ein Kalb absticht«.
Zum schlechten Stil. Er wird am sichtbarsten in den moralischen Zusammenhängen, etwa wenn solch ein Skribent Verbrechen wie die Geiselerschießungen rechtfertigen will. Das ist weit übler, weit in die Augen stechender als jeder ästhetische Verstoß.
Der Stil ruht eben im tiefsten Grunde auf Gerechtigkeit. Nur der Gerechte kann auch wissen, wie man das Wort, wie man den Satz zu wägen hat. Aus diesem Grunde wird man die besten Federn niemals im Dienst der schlechten Sache sehen.
Paris, 18. Februar 1942
Besuch des Ritters von Schramm, der aus dem Osten kam. Das Massensterben in den fürchterlichen Kesseln erweckt die Sehnsucht nach dem alten Tode – dem Tode, der nicht dem Zertreten-Werden gleicht. Schramm äußerte dazu die Ansicht, daß nicht jeder in diese Todesringe einbezogen werde, ganz ähnlich, wie rein schicksalsmäßig nicht jeder in die Manchester-Knochenmühlen kam. Entscheidend bleibt schließlich, ob man als Mensch in ihnen stirbt. Dann schafft man sich aus eigenen Kräften Bett und Altar. Dort unten verwirklicht sich viel von unseren trübsten Träumen; es werden Dinge, die man seit langem, seit über siebzig Jahren kommen sah, historische Realität.
Paris, 22. Februar 1942
Nachmittags bei Claus Valentiner am Quai Voltaire. Ich traf dort auch Nebel, den Outcast of the Islands, der morgen wie zu den Zeiten der römischen Cäsaren auf eine der Inseln geht. Sodann zu Wiemer, der sich verabschiedet. Dort übergab mir Madeleine Boudot, Gallimards Sekretärin, die Fahnen zur Übersetzung der »Marmorklippen« von Henri Thomas.
Im »Raphael« erwachte ich durch einen neuen Anfall von Traurigkeit. Das kommt wie Regen oder Schnee. Mir wurde die ungeheure Entfernung unter uns Menschen deutlich, wie man sie gerade an den nächsten und liebsten ermessen kann. Wir sind wie Sterne durch endlose Tiefen einander fern. Doch wird das nach dem Tode anders sein. Das ist das Schöne am Tode, daß er mit dem körperlichen Licht auch diese Entfernung löscht. Wir werden im Himmel sein.
Gedanke, der mir dann wohltut: vielleicht denkt gerade Perpetua an dich.
Der Kampf des Lebens, die Last der Individualität. Dagegen das Ungesonderte mit seinen immer tieferen Flutringen. In Augenblicken der Umarmung tauchen wir darein, versinken in Schichten, in denen die Wurzeln des Lebensbaumes ruhen. Auch gibt es leichte, flüchtige Wollust, wie Feuerstoff so volatil. Darüber hinaus die Ehe – »Ihr sollt sein ein Fleisch«. Ihr Sakrament: man trägt nur noch die halbe Last. Endlich der Tod; er reißt die Mauern der individuellen Trennung ein. Er wird der Augenblick der höchsten Begabung sein. Matth. 22, 30. All unsere echten Bande haben den mystischen Knoten erst hinter ihm, erst hinter der Zeit geschürzt. Wir werden sehend, wenn das Licht erlischt.
Die Bücher. Schön, wenn sich dort Gedanken, Wörter, Sätze finden, die ahnen lassen, daß die Erzählung wie ein Kunstpfad
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