Ein abenteuerliches Herz
Welt der Tatsachen sicherlich an sich selbst erlebt, als Gleichgewichtsstörung in Augenblicken, in denen die magische Perspektive sich erschließt, als Stocken des Atems und des Herzschlages, als blitzartiges Erlöschen der Wahrnehmung und als ihr Wiedererwachen, dem, besonders nach dem optischen Einbruch gewisser Landschaften, die Welt irgendwie verändert erscheint. Sicher haben auch die Ärzte in ihrem großen Katalog von Geschmacklosigkeiten, mit denen sie die Krankheiten besprechen, diesen Zustand rubriziert.
Dicht neben jener Galerie, an die letzte ihrer Nischen sich anschließend, lag ein etwas verwildertes, aber vielleicht gerade deshalb um so anziehenderes Naturalienkabinett, vom Geruch alkoholischer Präparate, kampferiger Pulver und glasbrauner Mumiensubstanz dicht und streng imprägniert. Dort, unter den Scheiben der Vitrinen, vor denen nur selten ein halb pflichteifriger, halb gelangweilter Besucher stand, hatte sich ein seltsames Gewirr angehäuft: Prachtstücke von Muscheln, noch aus einer Zeit, in der die Leidenschaft für diesen bunten Auswurf der Tiefe mit der für seltene Tulpen wetteifern konnte, Glasschalen über mit Kolibris besteckten Zweigen, nikotingelbe Schädel, die lange Reißzähne bleckten, Gestein, lederne Häute, gesprenkelte Felle, Donnerkeile aus bernsteinrotem und flaschengrünem Feuerstein, ausgeblasene, narbig gemusterte Straußeneier, Schlangen, in lange Standröhren voll Spiritus gerollt, der ihre Schuppen entfärbt und ihre Augen mit einem weißen Fell überzogen hatte. In unzähligen flachen, mit grünem Glanzpapier bezogenen Pappkästchen, die dicht aneinander standen, lehnten Kärtchen, mit blaßbrauner, durch die Zeit ausgezogener Tusche sorgfältig bemalt, etwa »Schwertigel, Molukken, 1856« oder nur der lakonische Steckbrief der binären Nomenklatur, mit ihrem von griechischen Einschlüssen gesprenkelten Latein, durch die Anfangsbuchstaben des ersten Autors mit dem nie fehlenden Stempel versehen.
Es schien mir hinter manchem dieser absonderlichen Kunstwerke der Natur der Kopf der Maus besonders deutlich und lauernd aufzutauchen. Von welcher Seele konnte denn hier die Rede sein? Phantastische Formen bringt das Leben hervor, in seinen verschwiegenen Laboratorien und Zauberküchen im Abgrund der Meere, im glühenden Wachstumssturm überhitzter Wälder oder in seinen Steinschneidereien und Miniaturschmieden, in denen Kalk, Horn und Kieselsäure gemeistert werden. Schwer fällt es, hinter all diesem einen Sinn zu sehen, und oft setzt sich einem jener bizarren Einfälle gegenüber der Gedanke in Positur: »Dies gibt es ja gar nicht.« Aber dann überrascht uns der beglückende Augenblick, in dem das scheinbar Tote und Absurde mit einem Schlage belebt und sinnvoll wird. Es ist, als ob wir eine jener Asseln, die sich zu wie aus Onyx geschliffenen Kugeln einzurollen pflegen, auf unserem Handteller plötzlich, durch die Wärme erregt, ihre Scharniere ausstrecken und auf geschwinden Füßen mit vorgestreckten Fühlhörnern dahineilen sähen. Tiere, die wir nur im Zustande der Ruhe kannten und die wir dann in die Bewegung übergehen sehen, vermitteln dieses Gefühl des kräftig einströmenden Sinnes überhaupt besonders stark, und es ließen sich hier viele prächtige Beispiele anführen, etwa das des Knurrhahns, der für gewöhnlich wie ein kiesfarbig gemaserter Holzkloben am Grunde liegt, um sich dann mit breiten schimmernden Flossen und bunter Unterseite als ein graziöser Schmetterling des Meeres aufzuschwingen, oder das des Rochens, dessen Umrisse sich nur wie ein Hauch auf den Boden zeichnen und der plötzlich, im wellenförmigen Spiel seiner breiten Flossensäume, dem aufgepeitschten Sande entsteigt. Aber vielleicht kommt doch von all diesen Kostbarkeiten nichts auf gegen das Schauspiel aus grüner Goldbronze und Lapislazuli, mit dem der sein Rad schlagende Pfauhahn schon so oft unsere Augen blendete und das uns doch immer wieder einen wilden Schrei des Erstaunens und der Bewunderung entreißt.
Auf diese Dinge lege ich, um dem Zustande jener Tage näherzurücken, Wert. Es war der vielen jungen Herzen wohlbekannte Zustand der Heimatlosigkeit inmitten einer engen, durch Erziehung und bürgerliche Gewohnheiten mit mancherlei Stoffblenden künstlich verspannten Welt. Man befand sich schließlich, im lauen Wohlbehagen einer liberalistischen Zeit, gar nicht schlecht dabei. Aber irgend etwas mußte doch wohl zu wünschen übrig sein. Und Wünsche, die zu lange ohne Bestimmung,
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